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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht
Autoren: Dan Simmons
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führte nach oben. »Zum Nationaltheater«, sagte er leise und winkte uns, vorauszugehen. »Es wurde beschädigt, aber nicht zerstört. Ihr Hotel liegt nebenan.«
    Der Priester, der Doktor und ich gingen hinauf, während das Licht der Laternen unsere Schatten zehn Meter hoch auf die gekrümmten Steinmauern über uns warf. Pater O'Rourke blieb stehen und sah auf Fortuna hinab. »Kommen Sie nicht mit?«
    Der kleine Führer schüttelte lächelnd den Kopf. »Morgen bringen wir Sie dorthin, wo alles angefangen hat. Morgen gehen wir nach Transsilvanien.«
    Dr. Aimslea lächelte dem Priester und mir zu. »Transsilvanien«, wiederholte er. »Der Schatten von Bela Lugosi.« Er drehte sich um und wollte etwas zu Fortuna sagen, aber der kleine Mann war nicht mehr da. Nicht einmal das Echo von Schritten oder das Leuchten einer Laterne verriet, welchen Tunnel er genommen hatte.

Kapitel 3
     
    Wir flogen nach Tîmişoara - Temesvár -, einer Stadt mit rund dreihunderttausend Einwohnern im westlichen Transsilvanien, und mußten den Flug in einer alten, zusammengeflickten Tupolev-Turbopropmaschine über uns ergehen lassen, die jetzt der staatlichen Fluggesellschaft Tarom gehörte. Die Behörden gestatteten nicht, daß ich innerhalb des Landes mit meinem Lear-Jet von Stadt zu Stadt flog. Wir hatten Glück; der tägliche Flug hatte nur eineinhalb Stunden Verspätung. Wir befanden uns fast den ganzen Flug über in Wolken, und eine Innenbeleuchtung gab es nicht, was freilich keine Rolle spielte, da weder Stewardessen an Bord waren noch eine Mahlzeit oder ein Imbiß gereicht wurden. Dr. Paxley nörgelte beinahe die gesamte Strecke, aber das Heulen der Propellerturbinen und das Ächzen von Metall, während wir durch Aufwinde und Sturmwolken schlingerten und schwankten, übertönte den größten Teil seiner Tirade.
    Gerade als wir gestartet waren, Sekunden bevor wir in die Wolkendecke eintauchten, beugte sich Fortuna über den Mittelgang und deutete zum Fenster hinaus auf eine schneebedeckte Insel in einem See, der etwa zwanzig Meilen nördlich von Bukarest liegen mußte. »Şnagov«, sagte er und beobachtete dabei mein Gesicht.
    Ich sah nach unten, erkannte kurz eine dunkle Kirche auf der Insel, bevor die Wolken alles verhüllten, und schaute Fortuna wieder an. »Und?«
    »Vlad Ţepeş ist dort begraben«, sagte Fortuna, der mich immer noch ansah. Er sprach den Namen wie ›Tsepesch‹ aus.
    Ich nickte. Fortuna widmete sich wieder der Lektüre eines unserer Time -Hefte im düsteren Halbdunkel, aber mir wird ewig unbegreiflich bleiben, wie jemand während des turbulenten Flugs lesen oder sich konzentrieren konnte. Eine Minute später beugte sich Carl Berry auf dem Sitz hinter mir nach vorn und flüsterte: »Wer zum Teufel ist Vlad Ţepeş? Jemand, der bei den Kampfhandlungen ums Leben gekommen ist?«
    In der Kabine war es inzwischen so dunkel, daß ich kaum Berrys nur Zentimeter von meinem entferntes Gesicht erkennen konnte. »Dracula«, sagte ich zu dem leitenden Angestellten von AT&T.
    Berry stieß einen enttäuschten Seufzer aus, lehnte sich in seinem Sitz zurück und zog den Gurt enger, als das Flugzeug heftig zu schlingern und schwanken anfing.
    »Vlad der Pfähler«, flüsterte ich vor mich hin.
     
    Der Strom war ausgefallen, daher wurde die Leichenhalle einfach dadurch gekühlt, daß man sämtliche Fenster aufgerissen hatte. Das Licht war immer noch ausgesprochen spärlich, als würde es von den dunkelgrünen Wänden, den rußigen Fensterscheiben und tiefhängenden Gewitterwolken gedämpft, reichte aber aus, die Leichen sichtbar zu machen, die auf Tischen lagen und fast den gesamten gekachelten Bereich für sich beanspruchten. Wir mußten einen verschlungenen Pfad gehen und ständig über bloße Beine und weiße Gesichter und aufgedunsene Bäuche steigen, damit wir zu Fortuna und dem rumänischen Arzt in der Mitte des Raumes gelangen konnten. In dem langen Saal befanden sich mindestens drei- bis vierhundert Menschen - uns selbst nicht mitgerechnet.
    »Warum sind diese Menschen nicht begraben worden?« fragte Pater O'Rourke, der den Schal vors Gesicht gelegt hatte. Seine Stimme klang wütend. »Es ist mindestens eine Woche her seit den Morden, richtig?«
    Fortuna übersetzte für den Arzt aus Tîmişoara, der die Achseln zuckte. »Elf Tage, seit die Securitate das gemacht hat«, sagte er. »Beerdigung bald. Die ... wie sagt man ... die Behörden hier, die wollen es den westlichen Reportern und bedeutenden Persönlichkeiten wie
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