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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht
Autoren: Dan Simmons
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Möbelstücke verstreut, Vorhänge waren von sechs Meter hohen Fenstern heruntergerissen worden, Papiere lagen auf dem Boden verteilt, und die regelmäßigen Fliesen waren mit dunklen Schlieren verschmiert. Fortuna führte uns einen schmalen Flur entlang, durch eine Reihe privater Wohngemächer, wie es schien, und blieb vor einer nicht näher bezeichneten Wandschranktür stehen. In dem eineinhalb Meter breiten Schrank standen lediglich drei Laternen auf einem Fachboden. Fortuna zündete die Laternen an, gab eine Aimslea und eine mir und berührte dann eine Verzierung über der Rückwand. Eine Schiebetür ging auf und gab den Blick auf eine Steintreppe frei.
    »Mr. Trent«, begann Fortuna und betrachtete stirnrunzelnd meinen Gehstock und meine zitternden Greisenarme. Das Licht der Laternen warf rastlose Schatten an die Wände. Er streckte eine Hand nach der Laterne aus. »Es sind viele Stufen. Vielleicht ...«
    »Ich schaffe es«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Ich behielt die Laterne.
    Radu Fortuna zuckte die Achseln und führte uns nach unten.
    Die nächste halbe Stunde war traumartig, beinahe halluzinatorisch.
    Die Treppe führte in hallende Kammern hinab, von denen ein Labyrinth anderer Steintunnel und Treppen abzweigte. Fortuna führte uns tief in dieses Gewirr hinein; unsere Laternen spiegelten sich auf halbrunden Decken und glatten Steinen.
    »Mein Gott«, murmelte Dr. Aimslea nach zehn Minuten, »die erstrecken sich ja meilenweit.«
    »Ja, ja«, lächelte Radu Fortuna. »Viele Meilen.«
    Es gab Lagerräume mit automatischen Waffen auf Regalen, Gasmasken, die an Haken hingen; es gab Kommandozentralen mit Rundfunkgeräten und Fernsehmonitoren, die da im Dunkeln standen, manche zerstört, als hätten Wahnsinnige mit Äxten ihre Wut daran ausgelassen, andere waren noch mit Plastikfolie zugedeckt und warteten nur darauf, daß ihre Benutzer sie einschalteten; es gab Baracken mit Feldbetten und Öfen und Petroleumheizungen, die wir neidisch betrachteten. Einige der Baracken machten einen unberührten Eindruck, andere waren eindeutig Schauplatz panischer Evakuierungen oder gleichermaßen panischer Feuergefechte gewesen.
    In einer dieser Kammern war Blut auf Wänden und Boden, doch die Schlieren sahen im Licht unserer zischenden Laternen mehr schwarz als rot aus.
    In den entlegeneren Ausläufern der Tunnel lagen noch Leichen, manche in Wasserpfützen, das aus Luken an der Decke heruntergetropft war, andere hinter hastig errichteten Barrikaden an Kreuzungen der unterirdischen Gänge. In den Steinkorridoren roch es wie in einem Schlachthaus.
    »Securitate«, sagte Fortuna und spie auf einen Mann im braunen Hemd, der mit dem Gesicht nach unten in einer gefrorenen Pfütze lag. »Sind wie Ratten hier heruntergeflohen, und wir haben sie wie Ratten erledigt. Sie verstehen?«
    Pater O'Rourke kauerte eine Weile mit gesenktem Kopf neben einer der Leichen. Dann bekreuzigte er sich und stand auf. Sein Gesicht drückte weder Betroffenheit noch Ekel aus. Ich erinnerte mich, daß jemand gesagt hatte, der bärtige Priester sei in Vietnam gewesen.
    Dr. Aimslea sagte: »Aber Ceauşescu ist nicht in diese ... Festung geflohen?«
    »Nein.« Fortuna lächelte.
    Der Doktor sah sich im zischenden weißen Licht um. »Um Gottes willen, warum nicht? Wenn er hier unten einen organisierten Widerstand aufgebaut hätte, hätte er monatelang durchhalten können.«
    Fortuna zuckte die Achseln. »Statt dessen floh das Monster per Hubschrauber. Er fliegte ... nein? Flog, ja ... er flog nach Tîrgovişte, siebzig Kilometer von hier entfernt, ja? Dort sehen andere ihn und seine Mistkuh von Frau in Auto einsteigen. Sie fangen sie.«
    Dr. Aimslea hielt die Laterne an den Eingang eines anderen Tunnels, aus dem jetzt ein gräßlicher Gestank wehte. Der Doktor zog das Licht rasch wieder zurück. »Aber ich frage mich, warum ...«
    Fortuna kam näher, und das grelle Licht offenbarte eine alte Narbe an seinem Hals, die mir bis jetzt nicht aufgefallen war. »Sie sagen, sein ... Berater ... der Dunkle Ratgeber ... hat ihm empfohlen, nicht hierherzukommen.« Er lächelte.
    Pater O'Rourke sah den Rumänen an. »Der Dunkle Ratgeber? Hört sich an, als wäre sein Berater der Teufel gewesen.« Radu Fortuna nickte.
    Dr. Aimslea grunzte. »Ist der Teufel entkommen? Oder war er einer der armen Kerle, die wir da hinten gesehen haben?«
    Unser Führer antwortete nicht, sondern betrat einen der vier Tunnel, die an dieser Stelle abzweigten. Eine Steintreppe
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