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Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Titel: Kim Novak badete nie im See von Genezareth
Autoren: Håkan Nesser
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Henry.«
    Meine Frau winkte ab. »Die zählen nicht«, behauptete sie. »Dein Vater ist tot. Und deinen Bruder habe ich ganze drei Male gesehen.«
    Ich musste zugeben, dass sie Recht hatte. Mein Vater war bereits seit zehn Jahren tot, und der Kontakt zu Henry war ganz abgebrochen, nachdem er Ende der Siebziger nach Uruguay emigriert war. Die letzte Weihnachtskarte von ihm war am Gründonnerstag vor vier Jahren angekommen.
    Während der ersten Ferienwoche in diesem Jahr hatte ich ziemlich viel Zeit, mich an meine Kindheit zu erinnern, und in einer warmen, duftenden Nacht träumte ich sogar zum ersten Mal seit zwanzig Jahren wieder von Ewa Kaludis. Sonderbarerweise war es kein erotischer Traum, stattdessen waren es Bilder und Eindrücke von dem Tag, an dem sie mit ihren Blessuren bei uns im Liegestuhl gesessen und meine Schultern massiert hatte.
    Zumindest fand ich es sonderbar, als ich aufwachte. Und irgendwie auch ein bisschen schade, aber man kann sich seine Träume ja nicht aussuchen.
     
    ***
     
    Erst ein paar Wochen vor Edmunds Besuch kam mir der Gedanke, dass er ja auch in Uppsala studiert haben musste, wenn er jetzt ein Pastorenamt bekleidete. Und da ich die Gelehrtenstadt nie für längere Zeiträume verlassen hatte, seit ich meinen Fuß in sie gesetzt hatte, bedeutete das, dass Edmund und ich uns auch in einem ein wenig erwachseneren Stadium nahe gewesen waren. Jedenfalls einige Jahre. Über diese Tatsache dachte ich eine Weile nach: ob ich nicht vielleicht sogar manchmal auf ihn gestoßen war - zum Beispiel bei Studentenfesten - und, falls dem so war, warum wir uns nicht wiedererkannt hatten. Irgendwann wollte ich diese Frage auch mit meiner Frau erörtern, aber sie meinte nur, dass im Alter zwischen vierzehn und zwanzig ziemlich große Veränderungen vor sich gehen können, und dass es doch eher die Regel als die Ausnahme war, dass man unerkannt aneinander vorbeirannte.
    Als Edmund Wester auftauchte, begriff ich, dass sie Recht hatte. Dieser vollbärtige, hünenhafte Mann, der draußen auf der Treppe stand, als ich die Tür öffnete, erinnerte ungefähr genauso viel an meinen vierzehnjährigen Freund Edmund wie eine Ente an einen Spatz erinnert. Dann rechnete ich schnell einmal hoch und kam zu dem Resultat, dass er jedes Jahr ungefähr fünf Kilo zugenommen haben musste, seit ich ihn das letzte Mal in Kumlas Kommunaler Realschule gesehen hatte, wenn seine Gewichtszunahme einer linearen Kurve entsprach. Nicht nur der Bart verbarg den Priesterkragen, sondern mehr noch das Doppelkinn. Sein abgetragener Cordanzug hatte trotzdem noch Platz für drei, vier Jahre mit gleicher Entwicklung - jedenfalls, soweit ich das beurteilen konnte.
    »Erik Wassman, wie ich annehme?«, fragte er und versteckte den Blumenstrauß für meine Frau hinter seinem Rücken.
    »Edmund«, sagte ich. »Du bist noch ganz der Alte.«
    Es wurde ein angenehmerer Abend, als ich zu hoffen gewagt hatte. Durch unsere jeweiligen Berufsrollen hatten wir gelernt, locker und ernst daherzuplaudern, und die Krebse waren wirklich ausgezeichnet, da meine Frau sie wie üblich selbst zubereitet hatte. Unsere Kinder führten sich einigermaßen gesittet auf und verschwanden später ohne größeres Hin und Her ins Bett. Wir tranken Bier und Wein, dann Schnaps und Cognac, und Ellinors mögliche Enttäuschung darüber, dass wir beide nicht gewillt waren, über die Geschehnisse in dem Sommer in Genezareth zu sprechen, verebbte mit der Zeit.
    Was nicht heißt, dass wir nicht Berra Albertsson und den Mord erwähnten, aber jedes Mal, wenn Ellinor die Rede darauf brachte, leiteten Edmund und ich bevorzugt auf andere Themen über. Ich erinnerte mich daran, wie wir die Ereignisse, während sie stattfanden, auf ähnlicher Distanz von uns gehalten hatten, und mir fiel ein, wie auffallend einfach es sein kann, die Zeit mit bestimmten Menschen zu überbrücken. Sogar ziemlich lange Zeiträume.
    Wenn meine Frau nicht das Gespräch auf die Schweigepflicht eines Pfarrers und seine Gewissensnöte gebracht hätte, wäre es ein rundum gelungener Abend geworden. Leider merkte ich erst, dass Edmund die Fragen äußerst unangenehm waren, als wir schon ziemlich weit in der Diskussion waren.
    Wir waren auch schon ziemlich weit mit dem Kaffee und mit dem Cognac gekommen, weshalb es vielleicht nicht so überraschend war, dass meine Aufmerksamkeit etwas zu wünschen übrig ließ.
    »Ich habe das nie verstanden«, erklärte meine Frau. »Was bitte schön gibt einem Pfarrer eigentlich
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