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Killing God

Killing God

Titel: Killing God
Autoren: Kevin Brooks
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ändern nichts.
    Nichts ändert was.
    Ich schau auf meinen iPod, wo noch immer weit weg der Song läuft,

    (nine million rainy days
    have swept across my eyes
    thinking of you)

    und stell ihn ab.
    Ich steh von meinem Bett auf.
    Dad schaut zu mir rüber.
    Ich schau nach unten, als Jesus und Mary vom Bett springen und aus dem Zimmer trotten (und der Teil von mir, der noch mit der realen Welt verbunden ist, begreift, dass sie schon lange nicht zum Pinkeln draußen waren), dann schau ich wieder zu Dad.
    »Ich kann nichts sagen«, erklär ich ihm leise.
    »Ich weiß«, sagt er.
    Meine Augen jucken jetzt und mir ist klar, dass ich wirklich nichts sagen
kann
. Das Einzige, was ich kann, ist das, was ich tu. Und als ich mich langsam auf Dad zubewege, weiß ich nicht, ob das, was ich tu, richtig oder falsch ist oder warumich es tu oder auch nur, was es bedeutet … ich weiß überhaupt nichts.
    Ich beweg mich nur einfach.
    Geh auf ihn zu …
    Bleib vor ihm stehen …
    Schau ihm in die Augen.
    Das Einzige, was ich möchte, ist, ihn für einen Moment festhalten. Das ist alles. Oder dass er mich festhält. Ich möchte nur, dass wir wieder sind, was wir früher waren – ich und mein Dad – nur für einen Moment …
    Meine Arme bewegen sich.
    Ich strecke sie verlegen nach Dads Kopf aus.
    Er beugt sich mir langsam entgegen.
    Ich nehm seinen Kopf in meine Arme.
    Er verspannt sich, hält seinen Körper von mir fort, aber er lässt sich anfassen.
    Und dann tret ich ein bisschen näher …
    Halt ihn ein bisschen fester.
    Und ganz vorsichtig bewegt auch er sich, um mich zu halten.
    Und dann … ich weiß nicht, wie es passiert. Vielleicht spring ich ein wenig zurück, als seine Hand meinen Arm berührt, oder vielleicht streift seine Hand auch nur den Ärmel von meinem Bademantel und verfängt sich im Stoff … keine Ahnung. Aber plötzlich wird mir bewusst, dass der Bademantel vorn aufgegangen ist, und nur für einen kurzen Moment spür ich, wie Dads stoppelige Wange auf meiner nackten Haut ruht … und ich
weiß
, es ist Zufall, ich weiß, dass Dad schon gemerkt hat, was passiert ist, und den Kopf schnell zurückzieht …
Ich
weiß, dass es
nicht
noch mal geschehen wird. Aber nicht mein anderes Ich. Das Einzige, was mein anderes Ich – die Höhlen-Dawn, die dreizehnjährige Dawn – je kannte, ist der Schmerz jenes Moments und die Panik, alles noch mal erleben zu müssen. Und jetzt glaubt sie, dass sie es noch mal erlebt. Und sie dreht durch.
    Sie schreit, ein Aufschrei der Angst, und stößt Dad von sich weg …
    Sie tritt zurück, zu schnell, sie verliert fast das Gleichgewicht, während sie verzweifelt nach ihrem Bademantel fasst und versucht, ihre Nacktheit zu verbergen …
    Und dann –
KRACH!
    Auf einmal explodiert die Welt.
    Und ich schau entsetzt zu, wie Dad stöhnt, einen gottlosen Seufzer, und dann auf dem Stuhl zur Seite sackt.

drop
    Schwer lastet die Stille im Raum. Das plötzliche
KRACH!
hat aufgehört, in meinem Ohr nachzuklingen. Die Luft ist unbewegt und ich seh alles, wie es immer sein wird. Ich seh meinen Vater, der im Stuhl zur Seite gesackt ist. Blut sickert langsam aus dem Einschussloch in seiner Brust. Ich seh ihn unter Schmerzen atmen. Ich seh Spritzer von rosa Spucke, die auf seinen Lippen kleine Blasen bilden.
    Ich seh, dass er stirbt.
    Ich kann nicht sprechen.
    »Dawn?«, sagt eine zerbrechliche Stimme von der Tür her.
    Mum.
    Ich seh sie. Sie steht da mit Dads Pistole in der Hand, ihr bleiches Gesicht feucht von Tränen.
    »Bist du okay?«, fragt sie.
    Ich nicke.
    »Hat er dich verletzt?«
    Ich schüttle den Kopf.
    »Du blutest«, sagt sie wie betäubt und starrt auf meine Beine.
    Ich schau an mir runter. Das Weiß meines Bademantels ist mit Blut bespritzt, auch meine Beine sind verschmiert.
    Das Blut ist nicht von mir.
    Es ist Dads Blut.
    Ich schau ihn an. Die Augen sind weit aufgerissen und starren wild. In seiner Brust rasselt es und er keucht schwach, dabei kommt Blut hoch. Sein Gesicht ist weiß.
    Er öffnet den Mund und versucht, was zu sagen.
    »… uhh … uh …«
    Er keucht wieder Blut hoch.
    Ich fall vor ihm auf die Knie. »Dad …?«
    Seine Augen kämpfen darum, mich in den Blick zu kriegen.
    »… Dawn …?«
, flüstert er.
    »Dad …«, schluchz ich und versuch die Tränen zurückzuhalten. »Alles okay, Dad … das wird schon wieder… alles okay …«
    »… bitte …«
    Und jetzt seh ich ihn sterben. Ich
seh
, wie es geschieht … direkt vor mir. Ich seh, wie das Licht aus seinen Augen
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