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Killerspiel

Killerspiel

Titel: Killerspiel
Autoren: Michael Marshall
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die Tür. Steph verriegelte sie. Wir hielten uns gegenseitig den Siegesdaumen hoch.
    Ich trabte über das Gelände und sah mich noch einmal um, als ich am Eingang zum Gebäude stand. Steph hievte sich mühselig auf den anderen Sitz. Mich überkam eine so heftige, tiefe Liebe zu ihr, dass es weh tat und ich mich fragte, ob ich Karren nicht doch ihrem Schicksal überlassen sollte. Sie war in meinem Leben schließlich nur eine Randfigur. Ein Lückenfüller, den Gott einem gegen die Angst vor der Leere bereitstellt. Doch ich dachte an den jüngeren Mann zurück, der ich einmal gewesen war – oder jedenfalls hoffte, gewesen zu sein –, und wusste, dass ich nicht wegfahren konnte, ohne mich wenigstens kurz zu vergewissern, dass bei ihr alles in Ordnung war.
    Am Eingang zum Gebäude wurde mir bewusst, dass es eine andere Methode gab, herauszufinden, wo ihre Wohnung lag. Ich kannte zwar die Nummer nicht, doch ich konnte sie finden. Also lief ich seitlich um den Block herum. Als ich an der Rückseite ankam, lief ich rückwärts über eine begrünte Fläche und blickte von dort aus zu den Fenstern hoch.
    Immerhin hatte ich gerade erst Fotos von diesem Bau gesehen. Die ersten Bilder in der Reihe, die mir auf den Laptop geschmuggelt worden waren, hatten dazu gedient, die Umgebung festzuhalten, damit es wie das Werk eines Voyeurs aussah, der sich an seine Beute anschleicht. An der Rückseite waren die Geschosse von unten nach oben jeweils abgetreppt. Das Fenster auf den Fotos hatte ganz rechts auf dem mittleren Stock gelegen. Jetzt, wo ich es vor mir hatte, erinnerte ich mich, wie Karren die Vorzüge eines Eckbalkons pries, nachdem sie die Wohnung im Blindkauf erworben hatte.
    Und da war sie auch. Innen brannte Licht, wenn auch gedämpft. Ich beobachtete die Fenster, während ich erneut versuchte, sie unter ihrer Nummer zu erreichen. Sie ging immer noch nicht dran.
    Ich rannte wieder zur Vorderfront zurück. Mir fiel nichts anderes ein, als an der Türsprechanlage auf Klingeln zu drücken. Die erste mit einer 2 am Anfang war 201 . Ein Mann meldete sich und klärte mich auf, er sei nicht Karren. Also versuchte ich es als Nächstes mit der letzten Nummer, die mit 2 anfing – 204 , die hoffentlich am entgegengesetzten Ende des Stockwerks, also an der anderen Ecke lag.
    Es klingelte, doch es machte niemand auf.
    Vielleicht war das dann ihre Wohnung? Und was nun? Ich blickte zum Wagen zurück und sah Steph auf dem Fahrersitz. Sie hatte den Kopf vorgebeugt, und wieder dachte ich –
mein Gott, vergiss es einfach.
Schließlich hing Karren nicht in der Sache drin – wieso sollten sie ihr irgendwas tun? Ich konnte sie wieder anrufen und ihr auf die Mailbox sprechen, ich sei nicht in der Stadt, und sie sollte, falls ihr etwas Angst machte, besser die Polizei rufen – die in Sarasota, nicht auf Longboat und ganz bestimmt nicht Sheriff Barclay –, die Tür gut abschließen und vorsichtig sein und bla, bla, bla. Mehr als das hatte ich ihr ohnehin nicht anzubieten.
    Würde das genügen? Konnte ich es dabei bewenden lassen und noch in den Spiegel schauen?
    Ich war kurz davor, die Frage zu bejahen, als von der Hauptstraße zwei Autoscheinwerfer auf das Gelände einbogen. Ich eilte in den Schatten einer Gruppe Palmen in der Nähe des Eingangs. Als der Wagen parkte, sah ich, dass der Fahrer ein stämmiger, gehetzt wirkender Mann im Anzug war, der einen mit Unterlagen vollgestopften Ordner unterm Arm trug. Er entdeckte mich.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich hoffe, ja«, sagte ich und griff auf die Rolle zurück, die ich bei zahllosen Begegnungen gespielt hatte, der Bursche, der für dich und deine seit kurzem schwangere Freundin das richtige und nicht zu teure Ambiente findet, in dem ihr euren Traum leben könnt. »Ich soll Karren auf einen Drink abholen. Ich weiß, dass sie zu Hause ist, aber sie macht nicht auf.«
    »Karren? Karren White?«
    »Ja. Ich hab versucht, von der Gartenseite aus hochzurufen. Aber sie hat laute Musik an, und wir sind schon spät dran.«
    Der Mann sah mich an. »Sind Sie ihr Freund?«
    »Nein, nein«, sagte ich lachend. »Sehen Sie den Wagen da drüben? Das ist meine Frau. Karren und ich sind Kollegen. Soweit ich weiß, hat sie derzeit nicht mal einen Freund. Wartet wahrscheinlich auf den Richtigen, Sie wissen schon, wie das manchmal ist.«
    Der Mann lächelte und freute sich offenbar über die Neuigkeit, dass seine Nachbarin solo war und sich damit seine stille, an einsamen Abenden inmitten seiner Akten
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