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Ketchuprote Wolken

Ketchuprote Wolken

Titel: Ketchuprote Wolken
Autoren: Annabel Pitcher
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Verbrechen einzugestehen, während ich so feige bin und Ihnen nicht mal meinen wahren Namen schreibe.
    Sie können mich also Zoe nennen. Und wir tun mal so, als wohnte ich im Westen von England, irgendwo in der Nähe von Bath vielleicht. Das ist eine alte Stadt mit historischen Gebäuden und vielen Touristen, die am Wochenende die Brücke fotografieren. Alles andere, was ich schreibe, ist wahr.
    Zoe

1 Fiction Road
Bath
    12. August
    Lieber Mr Harris,
    wenn Sie diesen Brief geöffnet haben, heißt das wohl, dass Sie sich für das interessieren, was ich Ihnen schreibe. Das ist nett, aber ich nehme es nicht als ein riesengroßes Kompliment, denn – seien wir mal ehrlich – Sie müssen sich doch fürchterlich langweilen allein in Ihrer Zelle, wo Sie sich nur mit Ihren Gedichten beschäftigen können. Die ich übrigens richtig gut finde, vor allem das Sonett über Todesspritzen. Ich habe die Ge dichte im Internet gelesen, und das über die Theateraufführung hat mich traurig gemacht. Als Dorothy den gelben Ziegelsteinweg beschritt, hatten Sie bestimmt noch keine Ahnung, dass Sie achtundvierzig Stunden später einen Mord begehen würden.
    Komisch, ich kann das schreiben, ohne mit der Wimper zu zucken. Das wäre sicher anders, wenn ich nicht auch jemanden umgebracht hätte. Früher hätte ich bestimmt nichts mit Ihnen zu tun haben wollen, aber jetzt sitzen wir im selben Boot. Genau im selben Boot. Sie haben jemanden getötet, den Sie eigentlich lieben sollten, und ich habe jemanden getötet, den ich eigentlich lieben sollte, und wir verstehen beide den Schmerz und die Angst und die Traurigkeit und die Schuld und all die hundert anderen Gefühle, für die es in unserer Sprache nicht mal Worte gibt.
    Alle glauben, dass ich trauere, und stellen mir deshalb nicht allzu viele Fragen, wenn ich blass und dünn bin und Augenringe und fettige Haare habe. Neulich hat Mum mich gezwungen, zum Friseur zu gehen und mir die Haare schneiden zu lassen, aber ich saß nur da und starrte die anderen Kunden an und fragte mich, wie viele von denen wohl auch Leichen im Keller hatten. Die Nonne hatte nämlich gesagt, dass kein Mensch perfekt ist und jeder gute wie böse Seiten hat. Jeder Mensch. Sogar Leute, von denen man es nie glauben würde, wie z. B. Barack Obama und Moderatoren vom Kinderfernsehen. Daran versuche ich mich zu erinnern, wenn die Schuldgefühle wieder so schlimm werden, dass ich nicht schlafen kann. Heute Nacht hat das leider nicht funktioniert, und deshalb bin ich wieder hier, und es ist wieder genauso kalt, doch diesmal habe ich den Spalt unter der Tür mit Dads alter Jacke abgedichtet.
    An den Namen der Nonne kann ich mich nicht mehr erinnern, aber sie hatte so ein Rosinengesicht, das man sich noch als Traube vorstellen kann, weil unter all den Runzeln noch etwas Schönes war. Eine Woche vor den Sommerferien kam sie an meine Schule, um uns über die Todesstrafe aufzuklären. Sie hatte so eine ruhige Stimme, die immer ein bisschen wacklig klang, aber alle hörten richtig gut zu. Sogar Adam. Normalerweise rutscht er mit seinem Stuhl herum und wirft den Mädchen Füllerkappen an den Kopf. Aber an dem Tag konnten wir alle unsere Kapuzen unten lassen, weil niemand Blödsinn machte, und wir sperrten Augen und Ohren auf, als diese alte Dame uns von ihrem Engagement für die Abschaffung der Todesstrafe erzählte.
    Sie hatte schon ganz viel gemacht. Petitionen und Protestschriften und Artikel in Zeitungen und Briefe an Verbrecher, die ihr zurückgeschrieben und alles Mögliche gestanden hatten. »Ihre Verbrechen und so?«, fragte jemand. Die Nonne nickte. »Manchmal schon. Jeder Mensch muss gehört werden.«
    Da kam mir die Idee, mitten im Religionsunterricht, als die Nonne noch andere Sachen sagte, an die ich mich jetzt nicht mehr erinnern kann. Als ich nach Hause kam, rannte ich sofort nach oben, ohne die Schuhe auszuziehen, obwohl Mum gerade erst beige Teppiche gekauft hatte. Ich schaltete meinen Computer an und fand eine Todestrakt-Website, auf der ich dann den Button »Ja, ich bin achtzehn Jahre alt« anklickte. Die Lüge brachte den Computer nicht zum Absturz und löste auch keinen Alarm aus. Sondern führte mich direkt zu der Datenbank von Verbrechern, die Brieffreundschaften suchten, und da waren Sie, Mr Harris, auf der vierten Seite der zweite Mann links in der dritten Reihe. Und Sie sahen aus, als würden Sie nur darauf warten, meine Geschichte zu hören.
    TEIL EINS
    Nicht grade der originellste Titel, aber hier geht es um
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