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Kells Legende: Roman (German Edition)

Kells Legende: Roman (German Edition)

Titel: Kells Legende: Roman (German Edition)
Autoren: Andy Remic
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Diese Person hat dir ein Leben voller Entbehrungen in den Gerbereien oder an den Fabrikwebstühlen erspart, die so gefährlich sind, dass sie dir deine verdammten Finger abschneiden könnten. Und diese Mistkerle würden das eher zulassen, als die Produktion anzuhalten. Also, Mädchen, du gehst zur Universität und arbeitest, wie du noch nie in deinem Leben gearbeitet hast, sonst werde ich dir so heftig in den Hintern treten, dass dir meine Stiefelspitze aus dem Mund herauskommt.«
    Nienna senkte den Kopf. »Ja, Großvater. Es tut mir leid. Es ist nur …«
    »Was?« Seine Augen glühten wie schwarze Kohlen.
    »Es ist nur … Ich langweile mich so! Ich möchte etwas erleben! Alles, was ich kenne, ist mein Zuhause, deine Wohnung hier und die Schule. Und ich weiß auch, dass ich singen kann, klar, aber das verheißt nicht gerade eine besonders aufregende Zukunft, hab ich recht? Jedenfalls ist es nichts, das mein Blut in Wallung bringt!«
    »Aufregung wird maßlos überschätzt«, knurrte Kell, drehte sich um und ging zu seinem Ledersessel, wobei er zusammenzuckte. Er ließ sich in den Sessel fallen und verzog das Gesicht bei dem Schmerz, der durch sein Kreuz schoss. Dieser Schmerz trat seit einiger Zeit immer häufiger auf, trotz der dicken, grünen, stinkenden Salbe, die die alte Graham ihm dort auftrug. »Solche Aufregungen können jemanden ganz schnell umbringen.«
    »Du bist ja so ein Miesepeter!« Nienna lief durch das Zimmer und zog rasch ihre Stiefel an. »Ich muss los. Heute Nachmittag machen wir mit der Universität einen Ausflug. Schade, dass es so schneit; angeblich sollen die Gärten ganz wunderschön sein.«
    »Ja, der Winter ist ziemlich früh dran diesmal. Das ist das Vermächtnis des Schwarzspitz-Massivs.« Sein Blick glitt durch das breite, niedrige Fenster zu dem fernen, schwarzen Dunst und den weißen Gipfeln, die wie Zähne darin schimmerten. Die Schwarzspitzen riefen ihn. Das würden sie immer tun. Sie besaßen einen Splitter von seiner Seele.
    »Einige meiner Freunde wollen diesen Sommer die Schwarzspitzen erkunden; natürlich erst, wenn sie ihre Studien beendet haben.«
    »Diese Narren!«, zischte Kell. »Die Schwarzspitzen sind gefährlicher, als man sich auch nur im Entferntesten vorstellen kann.«
    »Du bist dort gewesen?«
    »Dreimal. Und dreimal glaubte ich, ich würde niemals mehr zurückkommen.« Seine Stimme wurde leiser und klang fast gedankenverloren. »Als ich dort oben war, war ich davon überzeugt, dass ich sterben würde. Auf diesen dunklen, steinigen Hängen. Es ist ein Wunder, dass ich noch am Leben bin, Mädchen!«
    »Warst du damals auch schon in der Armee?« Sie versuchte erneut, eine Geschichte aus ihm herauszulocken, aber er winkte ungeduldig ab.
    »Mach nur! Geh zu deinen Freunden, geh nur, genieß den Ausflug mit deinen Kommilitonen. Und vergiss nicht, für sie zu singen! Führe ihnen deine Engelsstimme vor! So etwas haben sie bestimmt noch nicht gehört.«
    »Das mache ich, Großvater.« Nienna zog ihren Mantel an und bürstete sich dann ihr langes, braunes Haar. »Großvater?«
    »Ja, Äffchen?«
    »Ich … ich hätte fast Mam von dir erzählt, heute Morgen. Ich meine, dass du hergekommen bist. Ich möchte es ihr so gerne sagen … Ich hasse es, ein Geheimnis daraus machen zu müssen.«
    Kell schüttelte den Kopf und sah sie streng an. »Wenn du es ihr sagst, Mädchen, wird sie erst recht dafür sorgen, dass du mich nicht mehr besuchen kannst. Sie hasst mich. Kannst du das verstehen?« Nienna nickte, aber Kell sah in ihren Augen, dass sie nicht die nötige Lebenserfahrung besaß, um wirklich den Hass zu begreifen, den seine Tochter ihm gegenüber empfand. Eines Tages jedoch, dachte er hoffnungsvoll, eines Tages wird sie über diese Erfahrung verfügen. So wie wir alle.
    »Ja, Großvater. Ich tue mein Bestes.« Sie öffnete die Tür, und mit dem kalten Wind wehte frischer Schnee in den Raum. Sie trat einen Schritt nach draußen, blieb dann aber stehen und drehte sich halb herum, so dass er ihr Gesicht nicht erkennen konnte. »Kell?«
    »Ja, Enkeltochter?« Er blinzelte überrascht, weil sie ihn nur selten mit seinem Namen ansprach.
    »Danke, dass du mir die Universität bezahlst.« Sie sprang ein Stück zurück und küsste ihn auf die Wange. Dann verschwand sie mit wehendem Mantel und flatterndem Schal, während ihr Großvater errötend auf dem Treppenabsatz stehen blieb. Er schüttelte den Kopf und sah ihr nach, bis sie die Straße erreichte, und noch länger, beobachtete,
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