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Kells Legende: Roman (German Edition)

Kells Legende: Roman (German Edition)

Titel: Kells Legende: Roman (German Edition)
Autoren: Andy Remic
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kleinen Becher an seine Lippen und nippte mit einem Seufzen an dem klaren Schnaps; der harzige Alkohol rann ihm durch die Kehle in den Bauch und wärmte seinen ganzen Körper. Er fröstelte trotz des Getränks, dachte an Schnee und Eis, an die toten, kalten Orte der Berge, die tiefen Schluchten, die hohen, einsamen Felsbänke, die Hänge, auf denen man durch Steinschläge den Tod finden konnte. Eisige Erinnerungen durchbohrten den Winter seiner Seele, und er glaubte sie fast auf seiner Haut fühlen zu können. Manchmal glaubte Kell, er würde die Kälte seiner Vergangenheit niemals bannen können … jene dunklen Tage der Jagd im Reich der Schwarzspitzen. Sein Herz war vereist. Es war darin gefangen wie ein Diamant im Fels.
    Draußen schneite es sanft, die Flocken wehten auf gepflasterte Straßen und tanzten in Mustern in der Luft. Vom Fenster aus konnte Kell die Markthändler am Ufer des Selenau sehen und weiter rechts die schwarzen Ziegelgebäude der riesigen Gerberei, der Lager- und Schlachthäuser am Ufer. Kell schüttelte sich, als er sich daran erinnerte, wie die Abfälle hier im Sommer zum Himmel stanken. Das war der Grund, warum er seine Wohnung so günstig bekommen hatte. Aber jetzt … jetzt hatte der Winter den Hafen fest im Griff, und seine Klauen hielten den Gestank fern.
    Kell schüttelte sich erneut; schon beim Anblick des tanzenden Schnees wurde ihm kalt bis auf die Knochen. Er drehte sich wieder zu seiner Suppe und dem Kamin herum und rührte im Topf. Dann beugte er sich vor, stützte die Hand auf den massiven Balken des Kaminsimses und klopfte mehrmals mit dem Daumen darauf. Auf der Treppe draußen hörte er das Poltern von Stiefeln. Rasch stellte er den kleinen Becher auf ein hohes Regal neben eine uralte Uhr, direkt unter die furchteinflößenden Schmetterlingsklingen von Ilanna. Im Innern der Uhr sah er die Teile des winzigen, surrenden Uhrwerks; äußerst fein und komplex, ein Meisterwerk der Miniatur-Uhrmacherkunst.
    Die schwere Eichentür flog krachend auf, und Nienna stand in der Öffnung, eine dunkle Silhouette gegen den hellen Flur. Sie lächelte strahlend und trat sich stampfend den Schnee von den Stiefeln.
    »Tag, Großvater!«
    »Nienna.« Er trat zu ihr, und sie umarmte ihn. Der Schnee in ihrem langen, braunen Haar schmolz in seinem grauen Bart. Dann trat er einen Schritt zurück und hielt sie mit ausgestreckten Armen fest. »Meiner Treu, du wirst täglich größer, ich schwöre es!«
    »Das liegt an deinen überaus nahrhaften Suppen.« Sie warf einen fragenden Blick über seine Schulter. »Die halten mich gesund und machen mich stark. Was hast du heute gekocht?«
    »Komm, zieh deinen Mantel aus, dann bekommst du eine Schale davon. Es ist Gemüsebrühe; nach der Rinderpest im Sommer ist Fleisch immer noch zu teuer, obwohl man mir schon vor drei Wochen eine Rinderhälfte versprochen hat. Vom Freund eines Freundes, du verstehst?« Er blinzelte ihr amüsiert zu.
    Nienna entledigte sich ihres Mantels, ging zu dem Eichentisch und setzte sich rittlings auf die Bank davor. Kell füllte einen handgeschnitzten Napf mit Suppe und stellte ihn vor sie hin. Nienna griff hungrig nach einem Löffel, während Kell mit einem langen, krummen Messer eine Scheibe von einem dunklen Nussbrot abschnitt.
    »Das ist gut!«
    »Vielleicht braucht sie noch etwas Salz.«
    »Nein, sie ist perfekt!« Sie löffelte gierig die dicke Suppe, schlang jeden Löffel mit sichtlichem Appetit herunter.
    »Schön.« Kell setzte sich seiner Enkelin gegenüber und lächelte. Sein faltiges, bärtiges Gesicht strahlte, und er wirkte erheblich jünger als die zweiundsechzig Jahre, die er zählte. »Das sollte dich eigentlich nicht überraschen. Immerhin bin ich der beste Koch in ganz Jalder.«
    »Vielleicht«, brummte Nienna, »aber ich glaube, ein wenig Fleisch könnte ihr nicht schaden.« Sie hielt den Löffel in der Schwebe, während sie gespielt kritisch die Stirn runzelte.
    Kell grinste. »Ach, ich bin nur ein armer, alter Soldat. Das kann ich mir nicht leisten.«
    »Arm? Mit diesem Schatz unter den Bodendielen?« Nienna hob den Kopf, und ihre Augen funkelten. »Jedenfalls behauptet Mutter das. Sie sagt, du wärest ein Miesepeter und ein Geizhals und würdest Geld in einem Geheimfach unter den Bodendielen verstecken, eingewickelt in deine alten, stinkigen Strümpfe.«
    Kell lächelte, aber die Geste wirkte etwas gezwungen, sein Humor war sichtlich gedämpft. »Deine Mutter war schon immer besonders liebenswürdig.« Doch im
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