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Keinmaerchen

Keinmaerchen

Titel: Keinmaerchen
Autoren: Simone Keil
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erste eurer Lektionen, nicht wahr?
    Gelernt? Alle Jahim mussten einen langen Weg voller Prüfungen zurücklegen, bevor sie die Traumländer bereisen durften, alle bis auf Conchúbar. Wie könnten die Regeln für einen Auserwählten gelten? Er lebte, es war alles in Ordnung und doch meinte er, das hämische Lachen der Furcht zu hören, leise nur und aus weiter Entfernung. Sie konnte ihm nichts anhaben, er hatte sie einmal besiegt, er könnte es wieder tun, aber er hoffte, dass sie nicht näher kam, nicht solange er eingeschlossen und von Dunkelheit umgeben war.
    Und dann spürte er seinen Körper wieder. Zuerst ein unbestimmtes Kribbeln, das zu einem lästigen Jucken wurde und schließlich schmerzte, als bissen ihn tausend Sandflöhe.
    Das Schwarz begann sich aufzulösen, wurde von künstlich anmutenden Lichtstrahlen durchbrochen und wo die Strahlen auf den Bernstein trafen, begann auch dieser zu zerbröckeln, so dass Conchúbar sich bald wieder bewegen konnte.
    Du hast mehr Glück als Verstand, hörte er die Stimme des Etwas in seinem Kopf. Sie kehrt in den Traum zurück.
    Aber all das nahm Conchúbar nur unbewusst wahr, seine ganze Aufmerksamkeit galt den Sehnen und Muskeln, die sich aus dem Nichts materialisierten und sich auf seine Knochen legten, sich mit frischem Fleisch verbanden und seinen Körper neu entstehen ließen. Unsagbare Qualen, als die Organe heranwuchsen, sich mit Blut und Leben füllten, seine Zähne durch den frischen Kiefer brachen.
    Conchúbar presste die Hände auf die Ohren, als ein grauenhafter Schrei seine Trommelfelle zum Bersten bringen wollte. Er sank auf die Knie, stütze sich in der Blutlache ab, die sich zu seinen Füßen gebildet hatte, und erst jetzt bemerkte er, dass er es war, der schrie.
     
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    Conchúbar erhob sich und machte einige unsichere Schritte. Sein neuer Körper folgte seinem Willen nur widerstrebend, das frische Fleisch erinnerte sich nicht der Bewegungsabläufe, er musste seine Füße weiter zwingen, die Flügel lehren, sich im richtigen Takt auf und ab zu bewegen, die Finger aufeinander abstimmen, damit sie griffen, was er in die Hand nehmen wollte.
    Als die Farben sich veränderten, von nachtblau in ein fluoreszierendes Violett wechselten, war er in der Lage, kurze Strecken zu fliegen, aber er wagte sich noch nicht hoch hinaus, er hatte die Sicherheit mit der er sich vormals in den Lüften bewegte, verloren.
    Die Umgebung hatte sich verändert. Als er aus dem Lavastrom auftauchte, befand er sich auf einer Straße aus weiß schimmerndem Material, die pfeilgerade bis zum Horizont führte, wo er die Umrisse eines Turms erkennen konnte. Die Mauer war verschwunden. Oder hatte sie nie existiert?
    Zu seiner Linken säumte eine sorgfältig geschnittene Buchsbaumhecke den Weg, zur Rechten fiel das Gelände steil ab, als wäre auch das sorgsam beschnitten worden. Er beugte sich über den Rand und blickte in die Tiefe, erkannte die roten Ziegeldächer eines Dorfes, das im Schatten eines Berges lag. Über den Dächern kreisten Vögel, wie er sie noch niemals gesehen hatte. Ihre Gefieder durchzogen den Himmel mit gelben, roten und grünen Schlieren und unzähligen Farben, die er nicht benennen konnte. War er in ein anderes Traumland gewechselt, ohne es zu bemerken? War so etwas möglich? Wie wenig er über die Traumländer wusste. Wie sollte er je den Weg zurück zu den Purpurbergen finden?
    Es war gleich, in welche Richtung er sich wandte, also ging er einfach los, begleitet vom Geschrei der bunten Vögel, das wie eine Sprache klang, und vom leisen Weinen eines Kindes, das von überallher zu kommen schien oder direkt aus Conchúbars Kopf. Diese Stimme erschien ihm seltsam vertraut und rührte an seinem jungen Herzen, als wäre sie etwas, das ihm schon sein ganzes Leben lang folgte.
    Er lief kurze Abschnitte und flog wieder ein Stück, doch der Turm blieb so weit entfernt wie zu Anfang, also setzte er sich an den Straßenrand, um etwas auszuruhen. Die Farben um ihn herum wechselten, als schöbe jemand farbige Filter vor die Sonne, aber nirgends war eine Sonne zu sehen. Das Weinen des Kindes schwoll an und ebbte ab, nicht spürbaren Gezeiten unterworfen, zog es sich zurück und überrollte ihn im nächsten Moment wie eine Flutwelle. Er fühlte Furcht. Aber es war nicht seine Furcht, es war die des Kindes. Ob sie es umklammert hielt, mit ihren dürren Armen, ihre faulen Zähne in sein Fleisch schlug? Aber warum interessierte ihn dieses Kind überhaupt? Es war nicht seine Sache,
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