Keine Lady ohne Tadel
Sie merkte kaum, wie er sie zum Bett trug, auf die feuchte Decke legte. Sie hatte nicht wahrgenommen, wann er seine Kleider abgelegt hatte, denn sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich an ihn zu pressen. Doch jetzt spreizte er ihre Beine und schob seinen dunklen Kopf dazwischen, und sie bebte, weinte und flehte ihn an …
Kurz darauf nahm er ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie, und sie empfing ihn freudig, schlang ihre Beine um ihn, presste sich gegen ihn, wiegte sich mit ihm, während die Wogen des Genusses sie bis in die Fingerspitzen erfüllten.
36
Es braucht Mut, einen Fehler zuzugeben
Am nächsten Nachmittag
Die Marquise Bonnington wurde von einer ungewohnten Empfindung befallen. Sie brauchte eine ganze Weile, um herauszufinden, was es war: weder ein drohender Gichtanfall noch eine Verdauungsstörung und auch nicht die Vorahnung, dass es demnächst regnen werde. Erst als die Gentlemen sich zum Portwein zurückgezogen hatten und die Damen in Lady Rawlings’ Wohnzimmer ihren Tee nahmen, wusste Sebastians Mutter, was das mulmige Gefühl in ihrer Magengrube zu bedeuten hatte: Es bestand die Möglichkeit, dass sie einen Fehler gemacht hatte.
Sehr merkwürdig,
fand Honoratia. Denn da sie stets im Recht war, kannte sie sich in solchen Gefühlen wenig aus.
Das Gefühl äußerte sich in einer merkwürdigen Reizbarkeit in der Leibesmitte. Es überkam sie beim Anblick Lady Rawlings’, die zum ersten Mal seit der Geburt wieder am Dinnertisch erschienen war. Esme war eine erstaunlich schöne junge Frau mit einem cremeweißen, reinen Teint und wunderbaren vollen Lippen, deren Farbe gewiss nicht auf Schminke zurückzuführen war. Dennoch verdankte sie ihre Schönheit vor allem ihrer Lebendigkeit, ihren treffenden, witzigen Bemerkungen. Und dem Strahlen ihrer leuchtenden Augen, wann immer sie von ihrem Baby erzählte.
Fanny aber war die Lebhaftigkeit ihrer Tochter offensichtlich ein Dorn im Auge. Bei jedem Auflachen Lady Rawlings’ erstarrte sie merklich. »Mäßige doch dein Temperament, Liebes«, mahnte sie wiederholt während des Dinners. »Derart schrilles Lachen schickt sich nicht für eine Dame.«
»Es tut mir leid, Mutter«, beeilte sich Lady Rawlings zu versichern. Sie versuchte mit aller Macht, die Versöhnung zu einem Erfolg werden zu lassen. Doch Honoratia fand, dass sie wenig Chancen hatte.
»Ich finde, dieses Kleid hat einen viel zu großen Ausschnitt«, bemerkte Fanny, sobald die Damen Platz genommen hatten.
Lady Rawlings zog verlegen an ihrem Mieder. »Das liegt nur daran, dass mein Busen zurzeit voller ist.«
»Ja, du hast wirklich zugenommen«, konstatierte Fanny und musterte ihre Tochter kritisch von Kopf bis Fuß. »Vielleicht könnten ein forscher Morgenspaziergang, eine Gurkendiät oder Essig etwas dagegen ausrichten. Der liebe Mr Brummell hat mir letztens gestanden, dass selbst er sich gelegentlich einer Diät unterziehe.«
»Oh, aber eine Diät kommt jetzt nicht infrage«, entgegnete Esme liebenswürdig. »Darf ich dir ein Zitronentörtchen reichen, Mama?«
»Selbstverständlich nicht. Ich nehme abends nie etwas Süßes zu mir. Und ich hoffe sehr, dass du dich ebenfalls solcher Unmäßigkeiten enthältst.«
Honoratia verkniff sich ein Lächeln, weil Lady Rawlings ihr Törtchen eilends auf Lady Godwins Teller weiterbeförderte.
»Warum willst du es nicht mit einer Gurkendiät probieren?«, hakte Fanny nach. »Ich finde, du musst ganz dringend abnehmen.«
»Es ist für stillende Mütter nicht empfehlenswert, sich drastischen Diäten zu unterziehen.«
Lady Bonnington hatte Fanny immer für eine gute Freundin gehalten, doch wie der Zufall es wollte, war dies das erste Mal, dass sie so viel Zeit mit ihr unter einem Dach verbrachte. Und es war schon erschreckend, dass sie nach nur zwei Tagen bereits die dünnen weißen Linien um Fannys Mund als Vorboten eines drohenden Wutanfalls erkennen konnte.
»Helene, habe ich recht verstanden, dass du uns demnächst verlassen willst?«, wandte sich Lady Rawlings an Lady Godwin.
»Es muss sein, fürchte ich«, erwiderte Lady Godwin prompt und bewies damit, dass sie die Vorboten von Fannys Zorn ebenfalls kannte. »Gina, die Herzogin von Girton, hat mir geschrieben, dass sie ein Kind erwartet und sich über den Besuch einer Freundin freuen würde. Ich möchte eigentlich übermorgen reisen, falls du mich nicht unbedingt hierbehalten willst.«
»Du stillst dein Kind selbst? Das muss wohl einer deiner schlechten Scherze sein, mit denen
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