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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks
Autoren: Carl Hanser Verlag
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jeden Fall ihre«, sagte Laura schließlich. »Wen sie wohl damit gemeint hat?«
    Enrico D’Agostino präsentierte nun einen signierten und mit Prägestempel versehenen Schwarz-Weiß-Abzug von Henri Cartier-Bresson. Er stammte aus dem Jahr 1933 und zeigte den nackten Torso der schönen Leonor Fini im Prisma des Lichtspiels des kristallklaren Meerwassers in der Triestiner Badeanstalt Ausonia.
    »Für mich ist das eine Interpretation von Courbets ›L’Origine du Monde‹«, behauptete Enrico d’Agostino kühn. »Die Perspektive der lasziv geöffneten Schenkel ist fast die gleiche, auch wenn auf Leonors Schamhügel kein Härchen sprießt. Vor zweihundert Jahren stand man eben auf einen richtigen Busch in der Lendengegend. Aber feine nackte Haut ist doch viel sinnlicher. Finden Sie nicht auch?«
    »Und diesen Abzug wollen Sie wirklich verkaufen?« Laura überging die Anspielung und nahm das Blatt unter die Lupe. Natürlich kannte sie Wiedergaben des berühmten Fotos, dochim Originalformat von vierundzwanzig auf sechsunddreißig sah sie es nun zum ersten Mal. Mit der freien Hand strich sie ihr strohblondes Haar zurück.
    »Ach, ich ziehe die Natur ihrem Abbild vor. Sie selbst stehen ihr sicher in nichts nach.« Enrico blickte sie herausfordernd mit seinen blauen Augen an.
    »Dieses Blatt kaufe ich Ihnen sofort ab. Für das Gemälde aber muss ein Gutachter herangezogen werden. Da geht es um viel Geld. Wer hat diese Bilder gesammelt?«
    »Nehmen wir einen Aperitif an der Stazione Rogers«, schlug D’Agostino vor. »Dann erzähl ich es Ihnen gerne.«
    Erst vor drei Tagen hatte Laura den quietschroten Alfa Romeo Mito vom Händler abgeholt. Während sie die Rive entlangfuhren, erzählte ihr Enrico D’Agostino von seiner Großmutter, die mütterlicherseits einer griechischstämmigen Triestiner Bankiersfamilie entstammte und eine sachverständige Kunstsammlerin gewesen war, der es nicht an den nötigen Mitteln gefehlt hatte. D’Agostino deutete an, was noch an Gemälden in seiner Wohnung lagerte, die er mit der Zeit, aber ohne Eile, abzustoßen gedachte. Laura prägte sich die Künstler und die Titel der Werke ein, am nächsten Tag würde sie die einschlägigen Kataloge und im Internet die jüngsten Auktionsergebnisse konsultieren und sich über die zuletzt erzielten Preise informieren.
    »Halten Sie hier«, sagte der Charmeur, als sie an den Gebäuden der Ruderclubs vorbeifuhr. »Wenn wir schon da sind, kann ich Ihnen rasch mein Boot zeigen. Es liegt gleich da vorne in der Sacchetta.«
    »Haben Sie da etwa noch mehr Bilder?«, fragte Laura und bog auf den Parkplatz ein.

Mit dem Sommer öffnet sich die ganze Welt
    In den Bergen des Friaul und den Julischen Alpen Sloweniens musste es am Tag zuvor sintflutartig geregnet haben, während die Temperaturen in Triest Rekordwerte für den Juli markierten. In einem smaragdfarbenen Halbkreis drängte das Wasser des Isonzo ins Meer und schob sich stetig Richtung Triest, bis es sich beim Schloss Miramare allmählich mit dem tiefblauen Salzwasser der Adria vermischte. So weit vermochte das Süßwasser nur vorzurücken, wenn der Himmel über den Bergen sämtliche Schleusen geöffnet hatte. Der schäumende Fluss, der im Sommer sonst eher einem Rinnsal glich, trieb dann alles vor sich her ins Meer, und die Segler mussten aufpassen, dass ihre Yachten nicht mit Treibholz oder gar Baumstämmen kollidierten. Dafür war die Luft von kristallener Klarheit, und hinter dem Nordwestufer des Golfs leuchteten die Dolomiten, als hätte ein Bühnenbildner sie auf den Himmel gemalt.
    Schon um sechs am Morgen hatte Proteo Laurenti sich in die Fluten der Adria gestürzt und war fast eine ganze Stunde lang geschwommen, weit über die Muschelbänke hinaus, bis zu den Bojen, welche die Reihe der ins Meer versenkten Reusen markierten, zum Fang der »Canoce«, wie die Meeresheuschrecken im Dialekt genannt wurden. Und voll überschäumender Fröhlichkeit war er zwei Stunden später vor der Questura aus seinem Wagen gestiegen, hatte unter den verwunderten Blicken der vor den Schaltern der Ausländerbehörde in langen Schlangen demütig wartenden Menschen federnden Schrittes die Eingangshalle durchquert, um zwei Stufen der breiten Treppe zu den oberen Stockwerken auf einmal zu nehmen. Es war ihm nicht bewusst, dass er unentwegt die Melodie von »Twisted Nerve« aus Quentin Tarantinos»Kill Bill« vor sich hin pfiff, ebenso wie im Film die diabolische Krankenschwester »California Mountain Snake«, bevor sie
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