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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks
Autoren: Carl Hanser Verlag
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auch noch seine Frau und lassen sie erst wieder frei, nachdem der Mann den Auftrag für den millionenschweren Ausbau des Hafens der richtigen Firma erteilt hat. Einfach lächerlich. Wozu einen Politiker bestechen, wenn seine Frau schon in den Händen der Bösewichte ist?«
    »Vielleicht befürchten sie, dass der Mann froh ist, wenn er seine Gemahlin loswird.«
    »Nein!«, rief Livia. »Sie ist seine große Liebe.«
    »Fernsehen«, kommentierte ihr Vater. »Fiction. Was glaubst du wohl, weshalb ich mir niemals solches Zeug anschaue?«
    »Und dann solltest du mal sehen, wie die Schauspieler gekleidet sind, das passt eigentlich nur nach Gütersloh! Dabei ist das eine deutsch-italienische Koproduktion. Und mittendrin sitzt der große Boss vom Fernsehsender und redet allen rein. Ein aufgeblasener Fettwanst, der tut, als gehöre ihm die Welt. Den Schauspielerinnen macht er pausenlos ziemlich unverblümte Avancen, mich hat er auch angebaggert. Am Mittagsbuffet drängt er sich ständig vor, zuhören tut er schon garnicht. Angeblich hat er auch noch das Drehbuch unter Pseudonym verfasst, wofür er neben seinem Job als Programmchef zusätzlich abkassiert. Das ganze Team ist genervt, und es gibt ständig Krach. Der Regisseur ist leider ein Opportunist, der sich nicht gegen ihn auflehnt. Aber weißt du, was das Beste ist? Heute hat der Boss entschieden, dass am Ende des Films das Gesicht des Politikers in einen Teller Tiramisu klatschen soll, nachdem er einen Espresso getrunken hat. Gift. Abgesehen davon, dass der Kaffee erst nach dem Dessert serviert wird, schmoren die Mafiosi da längst im Knast, und niemand weiß, wer ihm das Zeug untergemischt hat. Lediglich ein Schatten wird dann durchs Bild laufen, der suggerieren soll, dass die finsteren Mächte weiterwirken und die Geschichte eventuell eine Fortsetzung haben kann, falls die Einschaltquote stimmt.«
    »Unglaublich realistisch.« Laurenti lächelte müde. »Leider fragt nie einer meiner Kunden nach der Quote, sonst würden sie endlich aufhören, immer die gleichen krummen Dinger zu drehen.«
    Livia saß mit ihrem Vater auf der großen zum Meer hin offenen Piazza im Schatten der Terrasse von Harrys Grill und nippte an ihrem Aperitif. Seit Wochen kam sie nur aus dem Büro heraus, wenn es am Set unüberwindbare Verständigungsprobleme gab. Dann ereilte sie ein dringender Anruf, sie möge alles stehen und liegen lassen, und sie konnte sich mit dem Motorroller gar nicht schnell genug durch den dichten Verkehr der Stadt fädeln, um als Dolmetscherin zum Prellbock zwischen den Streithähnen zu werden. Auch heute hatte es ordentlich gekracht, als der mächtige Mann vom Sender schon wieder alles über den Haufen warf, was mühsam organisiert worden war.
    »Der wollte plötzlich die ganze Szene auf die gegenüberliegende Seite des Canal Grande verlegen, obwohl wir dort keine Drehgenehmigung haben. Und nicht einmal der Anschlussan die vorherige Szene stimmte. Zuerst Sonne, dann plötzlich Schatten. Das würde sowieso niemandem auffallen, behauptete er. Das Licht dort gefiel ihm besser. Erst als Alessandro, der Location-Manager, der vor lauter Stress schon vier Kilo abgenommen hat, ihm klarmachte, dass es Probleme mit den Behörden geben würde, steckte er zurück. Das ist das einzige, was ihn beeindruckt. Stell dir vor, der sitzt da einfach fett auf seinem Stuhl, hält das Drehbuch in der Hand und behauptet, er sei derjenige, der wüsste, was der Zuschauer erwartet. Und der Regisseur, diese Pfeife, nimmt es schweigend hin.« Livia war wütend.
    Proteo Laurenti streichelte seiner Tochter die Wange. »Schmeiß den Job hin, Livia. Wir finden etwas Besseres für dich.«
    »Wenn ich die jetzt hängenlasse, kann ich lange auf mein Geld warten. Außerdem sind derzeit dreißig Prozent der Leute in meinem Alter ohne festen Job.« Sie schmiegte sich deprimiert an die Schulter ihres Vaters, der dem Kellner winkte und noch einen Americano bestellte, halb Campari, halb Wermut, eine Orangenscheibe, ein Stück Zitronenschale und Sodawasser.
    Der Commissario war seiner Tochter zufällig im Zentrum begegnet, nachdem er eine sich endlos hinziehende Sitzung beim Präfekten überstanden hatte, zu der alle leitenden Beamten der Ordnungskräfte geladen waren. Der Statthalter Roms hatte soeben erst seinen Dienst in Triest aufgenommen und eine Antrittsrede gehalten, die sich von denen seiner Vorgänger, die der Commissario in den letzten Jahrzehnten erlebt hatte, kaum unterschied. Die öffentliche
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