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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks
Autoren: Carl Hanser Verlag
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schon!«
    Sie griff nach seiner Hand, zog ihn zur Reling und sprang, bevor eine Idee des Protests in ihm aufflackern konnte, von Bord und riss den vollständig bekleideten Mann mit sich. An einer Stütze aus Edelstahl stieß er sich die Hüfte, der Stoff riss, und er fiel wie ein Sack mit einer halben Körperdrehung in das laue Wasser der Adria.
    Harald Bierchen prustete vor Vergnügen, als er wiederauftauchte, und planschte auf Vittoria zu, deren Kleidchen auf den sanften Wellen trieb. Doch plötzlich schlug er hysterisch um sich. Etwas zog ihn mit aller Kraft unter den Wasserspiegel. Ein verzweifeltes Gurgeln drang aus seiner Kehle, als er verschwand. Vittoria sah noch Luftblasen an die Oberfläche steigen, bevor sein heller Körper wie in Zeitlupe in die Tiefe sank.

Katzenfrau
    »Eine Frau sollte mit zwei Männern leben, einer mehr Liebhaber, der andere eher ein Freund. Das hat Leonor Fini häufig gesagt und sich tatsächlich siebenunddreißig Jahre lang daran gehalten.« Enrico D’Agostino reichte Laura ein Glas perlenden Franciacorta. »Der eine war Stanislao Lepri, der seine Stelle als italienischer Konsul aufgab und ebenfalls zu malen begann, nachdem er sie kennengelernt hatte. Der andere war Konstantyn Jelensky, ein polnischer Intellektueller.«
    »Und welcher hatte die Rolle des Liebhabers?«, fragte Laura, der die Geschichte der Künstlerin seit langem vertraut war.
    »Ach, das wird vermutlich gewechselt haben.«
    Sie standen im Salon der riesigen Wohnung in der Beletage eines fünfstöckigen Palazzo des Borgo Giuseppino an der Riva Nazario Sauro. In diesem Stadtteil erstreckten sich die ausladenden Gebäude über die gesamte Grundfläche zwischen zwei Parallelstraßen. Der Palazzo war ein Musterexemplar des klassizistischen Baustils: Vier weiße Lisenen hoben sich vom Altrosa der Fassade ab und akzentuierten die zentralen Fenster des ersten und zweiten Stockwerks. Ein wohlhabender serbischer Kaufmann, der es in der Stadt zu beachtlichem Reichtum gebracht hatte, ließ das Gebäude errichten. Im Erdgeschoss an der Ecke zur Via Annunziata befand sich eine alte Bar, an deren Wände alte Fotografien das einst geschäftige Treiben entlang der Molen dokumentierten. Enrico D’Agostino hatte, wie vor ihm seine Mutter, den 1825 erbauten Palazzo geerbt und bald alle großen Flächen in abgeschlossene Einheiten unterteilt; natürlich mit der Unterstützung des Verantwortlichen im Bauamt, der gegen ein paar Gefälligkeiten gerne die Denkmalschutzgesetze übersah. Kleinere Einheiten brachten bessere Mieten, die Enrico Monatfür Monat ein beruhigendes Auskommen sicherten. Einige davon hatte er en bloc einer Dienstleistungsgesellschaft im Filmgewerbe überlassen, und die zahlte noch besser. Wie so viele in der Stadt lebte er ausgezeichnet, ohne einen Finger zu rühren. Das hatten die tatkräftigen Ahnen längst für ihn erledigt.
    Nur die Wohnung im zweiten Stock, aus deren Fenster sich ein unverbaubarer Blick auf den Triestiner Golf und den Porto Vecchio öffnete, zog sich noch um den gesamten Innenhof und war, vor allem dank der exzellenten Stilsicherheit seiner Frau Carmen, zu einem Schmuckstück geworden. Laura waren die hochwertigen Materialien sofort ins Auge gesprungen, lediglich das wertvolle Parkett in den langen Fluren war übriggeblieben und knarzte noch an manchen Stellen. Die Küche musste so viel Geld gekostet haben, dass man sich davon in Randlagen eine Eigentumswohnung hätte kaufen können. Die Dame des Hauses allerdings konnte das Meisterwerk an Wohnkultur kaum nutzen, sie kannte dafür die Wände ihres Büros im schmucklosen Neubau der größten Kaffeerösterei der Stadt in- und auswendig sowie die Sessel der Business-Class jener Fluglinien, die sie als Marketing-Managerin nutzte, um mit den Topkunden ihres Arbeitgebers auf allen Kontinenten große Deals abzuschließen. Dafür genoss Enrico D’Agostino das Leben in vollen Zügen. Er kontrollierte die Abrechnungen des Verwalters, und wenn sein Lebensstil es verlangte, veräußerte er gelegentlich ein Appartement oder eines der Kunstwerke, die ihm nicht am Herzen lagen. Dicht aneinandergelehnt füllten die Bilder zwei Räume dieser riesigen Wohnung. Laura hätte sie rasend gerne in aller Ruhe inspiziert, ohne Begleitung. Doch hatte D’Agostino nur zwei Werke herausgezogen und sie ihr zur Begutachtung überlassen.
    Der leidenschaftliche Segler war als Tombeur de femmes bekannt, ein Lady-Killer, der nicht abließ, bevor er ans Zielgekommen war. Seit
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