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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Auch Alberto hatte Spuren von ihrem Blut an beiden Händen, das Messer jedoch hatte er den Abdrücken zufolge nur mit zwei Fingern angefasst. So kann keiner zustechen. In der Logik des Tatverlaufs klaffte ein Loch, das erst zu schließen sein würde, wenn die beiden Opfer aussagen konnten. Oder wenn er den drei Bullenköpfen einheizte, die nachts angeblich die Bürger schützen wollten. Sie saßen in weit auseinanderliegenden Einzelzellen, ein Rechtsanwalt aus Varese, der weit entfernten Hochburg der Lega Nord, hatte gestern bereits ihr Mandat übernommen und gegen ihre Inhaftierung Protest eingelegt. Die Partei schien ihre Mitglieder zu schützen. So weit ihr Arm eben reichte.
    Laurenti beschäftigte etwas anderes. Gilo Battinelli antwortete so matt, als sei er durch den Anruf geweckt worden. Mit einem Kollegen hatte der Inspektor die ganze Nacht das Haus observiert, in dem Vittoria gemeldet war. Sie war noch immer nicht zurückgekehrt.
     
    Als Proteo Laurenti um halb elf vor dem Polizeipräsidium seinen Wagen aufschloss, hatte die Bora bereits deutliche Löcher in die dunkle Wolkenschicht gerissen und dort demheiteren Blau eines Tiepolo-Himmels zum Durchbruch verholfen. Ganz offensichtlich besann sich der Sommer wieder seiner Kraft. Laurenti entschied sich anders, verschloss den Wagen wieder und ging am Teatro Romano entlang zum Hochhaus.
    Auf sein Klingeln wurde der Türsummer gedrückt, ohne dass ihn jemand über die Gegensprechanlage nach seinem Anliegen gefragt hätte. Ganz so, als würde er erwartet.
    Der kleine Mann stand in der Wohnungstür, als Laurenti aus dem Aufzug trat. Fassungslos starrte er den Commissario an.
    »Sie?«, fragte Lele ungläubig.
    »Haben Sie mich etwa nicht erwartet, Lele? Wann sind Sie zurückgekommen?«
    »Was wollen Sie?«
    »Reden, was sonst. Sie könnten mir einen Espresso anbieten. Am liebsten ›Jamaica Blue Mountain‹.«
    Raccaros Hand lag fest auf der Türklinke, nach ein paar Sekunden erst gab er zögerlich den Eingang frei. Er führte den Commissario in den Salon und hieß ihn an einem Tisch Platz zu nehmen. Laurenti hörte ihn in der Küche hantieren, und es schien ihm, als redete er verhalten mit einem anderen Mann. Kurz darauf kam er mit einem Tablett in der Hand zurück, auf dem zwei Espressotassen standen.
    »Kopi Luwak, Commissario«, sagte Lele. »Das exklusivste Getränk der Welt. Das haben Sie garantiert noch nie getrunken.«
    »Schmeckt nach Regenwald, Lele. Die Steine der Kirschen werden vom Fleckenmusang ausgeschieden. Ein putziges hermaphroditisches Tierchen. Die Katzenkacke sieht aus wie ein Müsliriegel.«
    Raccaro taxierte ihn stumm.
    »Übrigens, ein schönes Bild haben Sie dort an der Wand.«
    »Gustave Courbet«, hob Lele an. »›Le bouche du Timavo‹.Von unbeschreiblichem Wert. Aber deswegen sind Sie wohl kaum gekommen.«
    »Ich wollte Ihnen zu Ihrem zweiten Sohn gratulieren, Lele. Schade, dass sie beide sitzen.«
    »Was geht eigentlich vor, Commissario?«, schrie Raffaele Raccaro plötzlich. »Ihr überzogenes Geltungsbedürfnis gefährdet das Allgemeinwohl. Auf Kosten des Steuerzahlers.«
    Wie eine Furie beugte er sich zum Commissario, und sein Gesicht war von einem so tiefen Rot, dass Laurenti fürchtete, den Notarzt verständigen zu müssen. Für gewöhnlich brachte den Mann nichts aus der Ruhe, und sein immerwährendes Grinsen, selbst in Situationen, die für andere fatale Konsequenzen hatten, war berüchtigt. Doch plötzlich zuckte seine Hand, in der er die Tasse hielt. Der Kaffee hinterließ einen dunkelbraunen Fleck auf seinem weißen Hemd.
    »Wie kommt es eigentlich, dass Sie schon von Ihrem Törn zurück sind, Lele?« Laurenti lehnte sich lächelnd zurück. »Nett, dass Sie plötzlich Zeit für mich haben. Und jetzt haben Sie vor lauter Aufregung auch noch den Kaffee verschüttet.«
    Den Bruchteil einer Sekunde hielt Raccaro inne und schaute an sich hinab. Dann brüllte er sofort wieder los. »Glaubt bloß nicht, das ihr mit solchen Aktionen unseren Kampf für Demokratie und Freiheit aufhalten könnt.«
    »Von was reden Sie? Ich sehe nur Sie und mich.« Laurenti schaute sich gekünstelt um.
    »Sie überziehen, Commissario. Sie und diese Staatsanwältin, die keine Ahnung hat, welche Konsequenzen auf sie zukommen werden.«
    »Das hat mir gestern schon Ihr Anwalt gesagt, und ehrlich gesagt, verstehe ich Sie beide nicht. Was ist denn vorgefallen?«
    »Sie haben meine Söhne eingelocht, Laurenti. Und Sie werden sich wundern, wie schnell Sie die
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