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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks
Autoren: Carl Hanser Verlag
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wieder freilassen müssen.«
    »Dass auch Gazza Ihr Sohn ist, habe ich erst vor ein paarStunden erfahren. Ein Kuckucksei? Seine Geburtsurkunde lautet anders.«
    »Die Unschuld von Giulio Gazza ist klar erwiesen. Und auch Aurelio werden Sie nicht bekommen. Und jetzt verschwinden Sie, sonst gehe ich wegen Hausfriedensbruch gegen Sie vor.«
    Laurenti stand auf und ging zum Flur, während Raccaro ihm folgte. »Wo ist eigentlich Vittoria? Ich brauche ihre Zeugenaussage.«
    Der Schlag hatte gesessen. Laurenti zog die Tür ins Schloss.
    Zehn Minuten später ging der Commissario, nachdem er sich zuvor an der Pforte ausgewiesen hatte, durch die menschenleeren weitläufigen Flure des Gerichtspalasts und klopfte schließlich entschieden an die Tür der Staatsanwältin.
    Iva Volpini saß an ihrem mit Akten überladenen Schreibtisch. Ihr Haar war unfrisiert, sie trug die Bluse vom Vortag. Die Luft in dem Raum war stickig.
    »Danke, dass Sie mich geweckt haben, Commissario«, sagte sie säuerlich. »Ich habe die ganze Nacht über diesen Unterlagen gebrütet und war gerade eingeschlafen, als Ihr Anruf kam. Ja, Laurenti, Sie haben mich hier erwischt, nicht daheim. Und eine funktionierende Kaffeemaschine gibt es offenbar im ganzen Gebäude nicht. Aber wenigstens ist die Sache jetzt klar. Ich habe entschieden, dass –«
    Laurenti hob die Hand und unterbrach sie. »Warum erzählen Sie mir das nicht in einer Bar, Dottoressa?« Bevor sie hinausgingen, öffnete er unter dem fragenden Blick der Richterin das Fenster.
    Iva Volpini war entschlossen, Raccaro aufgrund der Fotos von Vittoria und dem Deutschen festzunehmen. Immerhin waren die letzten Bilder von Harry Bierchen auf der »Greta Garbo« geschossen worden und in Aurelio Selvas Apparat gespeichert. Leles Sohn. Das kleine Stückchen Stoff, das die Kriminaltechniker auf dem Schiff gefunden hatten, stammtevon der Hose des Deutschen, und die Zettel aus den Taschen des toten TV-Direktors verwiesen auf die AFI.
    »Um Himmels willen, Dottoressa«, sagte Laurenti am Tresen der Bar X in der Via del Coroneo, während die Richterin den zweiten Caffè latte bestellte. »Meines Erachtens ist das zu früh. Wenn Sie Lele festnehmen, entwischt uns Vittoria. Sie war vermutlich die einzige Zeugin von Birkenstocks Tod. Wenn nicht sogar der Täter.«
    »Raccaro und Bierchen heißen die beiden. Keine Spitznamen, bitte.« Die Ermittlungsrichterin löffelte den Milchschaum.
    »Lassen wir ihm doch noch ein bisschen Zeit. Der Eingang zum Hochhaus wird observiert, Dottoressa. Sollte Vittoria bei Raccaro sein, kommt sie irgendwann heraus. Wenn Sie erlauben, ich setze sehr darauf, dass bei einem Zugriff der Kollegen der Guardia di Finanza Licht in Leles Geschäfte kommt. Aurelios Aufzeichnungen sind mehr als aufschlussreich.«
    »Bei mir standen gestern Abend die Telefone nicht still, Laurenti. Alles war dabei, vom guten Zureden bis hin zu mehr oder minder versteckten Drohungen.«
    »Ob wir heute zugreifen oder morgen, macht wenig Unterschied. Raccaro haut nicht ab, er ist immer noch davon überzeugt, dass er die Dinge lenken kann. Von Aurelios Unterlagen weiß er nichts, und meine Leute sind so müde wie Sie, Dottoressa. Gönnen wir ihnen doch den Tag zum Ausruhen. Vernehmen Sie Giulio Gazza noch, bevor die achtundvierzig Stunden um sind?«
    »Ich habe den Termin für dreizehn Uhr anberaumt, warum?«
    »Lassen Sie ihn frei. Der Idiot ist der einzige, der dieses Mal nichts verbrochen hat, und Lele bucht es vielleicht als einen ersten Erfolg seiner exzellenten Verbindungen. Wenn Gazza sich dann mit Lele in Verbindung setzt, hören wir mit.«
    »Mit Raccaro, Laurenti. Keine Spitznamen. Die werden Ihnen vor Gericht sonst noch irgendwann zum Verhängnis. Keine formalen Nachlässigkeiten also.«
     
    *
     
    Laurenti grinste breit, als er sich durch den Verkehr in Barcola schlängelte. Wollte die Ermittlungsrichterin etwa einen anderen Menschen aus ihm machen? Er war nun wirklich nicht dafür bekannt, sich akkurat an die Regeln zu halten, und trotzdem war er bisher immer ans Ziel gekommen. Und dass er gleich Patrizia und das Baby in seinen Dienstwagen laden würde, war schon der nächste Verstoß gegen die Vorschriften. Aber es war der einfachste Weg, um die beiden ohne große Umstände in das Freihafengebiet zu bringen.
    Die »MS EVER Miriam« war ein 2006 in Südkorea gebautes Containerschiff von dreihundert Metern Länge und mit einer Ladekapazität von über achttausend TEU. In riesigen weißen Lettern stand der
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