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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks
Autoren: Carl Hanser Verlag
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können? War er einfach nur einer der Plünderer, warum hatte er ihn dann überhaupt nach Jimma gebracht? Sie müsste Miriam danach fragen, ob es noch andere Fotos ihres Urgroßvaters Paolo gab. Doch würde sie damit warten müssen, bis es ihrer Mutter besserging und sie zurück in London wären.
     
    *
     
    Raffaele Raccaro, den alle Lele nannten, kochte vor Wut, als er den Waggon der ersten Klasse in Richtung Triest bestieg. In Ferrara müsste er auch noch umsteigen. Natürlich hätte er auch ein Taxi nehmen können, doch weshalb so viel Geld raushauen. Dreihundertsiebzig Kilometer wären es gewesen, und eines stand fest: An diesem Abend hätte er nichts anderes getan, als auf die Anrufe seiner Leute zu warten. Zu dem Empfang mit Galadiner in der Präfektur hätte er es ohnehin nicht rechtzeitig geschafft, ganz abgesehen davon, dass er dazu nun wirklich nicht aufgelegt war. Seine sechs Millionen hatten die Polizisten eingezogen, anstatt die Bank in San Marino. Er würde sie rasch zurückbekommen, das war nicht dasProblem. Aber er rechnete auch damit, dass er in den nächsten Monaten Besuch von der Guardia di Finanza bekommen würde. Eine Betriebsprüfung im Palazzo Vianello? Na und? Einer der Vorgesetzten saß mit ihm in der gleichen Loge. Und was die Herkunft der sechs Millionen betraf, war schließlich die Behörde in der Beweispflicht. Niemand hatte gesehen, dass er das Geld nach dem Abendessen mit den Russen in Empfang genommen hatte. Doch wo war eigentlich Vittoria? Die Nutte hätte wenigstens auf ihn warten können, schimpfte er in sich hinein. Ihn zu finden wäre selbst ihr nicht schwergefallen, wo hätte er schon anders sein können als bei der Polizei? Er hattte sich ihr gegenüber immer großzügig gezeigt.
    Was Lele jedoch bekümmerte, war, dass Aurelio nicht ans Telefon ging. Immer wieder ließ er es lange klingeln. Abgeschaltet war das Gerät im Gegensatz zu dem von Giulio Gazza also nicht. Wo steckten diese Taugenichtse, wenn man sie einmal brauchte? Vielleicht sollte er sein Testament doch noch einmal überdenken und die beiden enterben? Er würde sie die nächste Zeit genauer unter die Lupe nehmen und dann entscheiden. Sollten sie Geschäfte auf eigene Rechnung machen, wäre es aus. Doch Raccaro machte sich auch selbst Vorwürfe: Hätte er Gazza damals anerkannt, seine Vaterschaft eingeräumt, dann wäre zwar die Ehe seiner Mutter in die Brüche gegangen, die seine Sekretärin war und mit der Lele über Jahre ein Verhältnis hatte, doch aus dem Kerl hätte vielleicht noch etwas werden können.
    Bald lief der Intercity in Ferrara ein, wo Lele fast eineinhalb Stunden auf den Anschlusszug warten musste. Er verspürte Hunger und ging in der Bahnhofshalle zu einem Imbissstand, wo er einen Cheeseburger bestellte und ein Bier. Er setzte sich an ein schmutziges Tischchen und starrte kauend auf die Bahnanlage hinaus, über deren Dächern das Gewitter tobte und der Sturm den Regen gegen die Fensterscheibenjagte. Fröhliche junge Leute, die das Wetter nicht kümmerte, stiegen am gegenüberliegenden Gleis lachend in den Zug nach Bologna. Kurz darauf war der Bahnsteig wieder leer. Lele holte noch ein Bier, einen zweiten Burger und eine Portion Pommes frites. Während er den Fraß mit großen Bissen verschlang, klingelte sein Telefon. Er nahm sofort ab, als er die Nummer seines Triestiner Anwalts erkannte.
    »Störe ich dich beim Essen, Lele?«
    »Was gibt’s?«, fragte er schmatzend. »Du verdirbst mir den Appetit.« Er schob ein paar Pommes in den Mund.
    »Deine beiden Söhne wurden eingelocht. Giulio schon gestern Nachmittag in Udine, doch das habe ich erst jetzt zufällig erfahren, nachdem mich der Anruf von Aurelio erreicht hat und ich ihn gleich in der Questura aufgesucht habe. Der Commissario hatte ihn bereits ohne mich vernommen, aber er hat die Klappe gehalten.«
    »Welcher Commissario? Und mit welcher Begründung?« Unwirsch warf Lele den Burger auf die Kunststoffverpackung.
    »Laurenti führt die Ermittlungen. Giulio sitzt wegen versuchter Erpressung dieser britischen Abgeordneten. Ich werde mich gleich morgen früh um ihn kümmern. Bei einer Haussuchung in seiner Wohnung hat man angeblich den Speicherchip mit den Fotos gefunden. Das hat Aurelio mir ganz beiläufig mitgeteilt. Er habe leider vergessen, mich auf Giulios Wunsch hin zu verständigen.«
    »Na, der kann was erleben. Und dieser Laurenti auch, lass sofort eine Haftbeschwerde raus, unternimm etwas.« Leles Stimme war gepresst, nur mit Mühe
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