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Kein Weg zurück

Kein Weg zurück

Titel: Kein Weg zurück
Autoren: Natalie Schauer
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was es mit der geheimnisvollen Frau auf meinem Rücken auf sich hat. Da ich mir sicher war, dass ich mich schwer tun würde, ihm die ganze Geschichte zu erzählen, schrieb ich sie nieder. Ich ließ nichts aus, denn SIE gehörte schließlich zu meinem Leben, auch wenn mein Sohn damals noch nicht geboren war. Ich legte den Brief sorgfältig auf seinen Nachttisch. Wenn er am nächsten Morgen aufwachen würde, konnte er ihn gleich sehen und lesen. Ich wollte währenddessen nicht im Haus sein, denn es waren meine intimsten Erinnerungen an eine Zeit, die lange vorbei war, die ich aber nie vergessen konnte.
     
    Nach dem Abitur setzte ich mich mit einem Rucksack in einen Zug und fuhr ohne Ziel einfach los. Ich wollte ganz Europa kennenlernen, Menschen beobachten, Geschichten schreiben und Gesichter zeichnen. Ich wollte alles sehen – Berlin, London, Rom, Paris und alles, was dazwischen lag. Den Sommer nach dem Abitur verbrachte ich in Wien. Dort lag ich am Nachmittag in den grünen Parks und ließ die Welt an mir vorüberziehen. Ich war allein, wollte keine Bekanntschaften knüpfen, sondern nur die Zeit genießen. Die Wochen und Monate vergingen schnell und ehe ich mich versah, fand ich mich im November in Paris wieder. Es war ein überwältigendes Gefühl, in dieser Stadt zu sein, die so voller Leben, Geschichte, Flair – und voller Liebe war. Die Stadt der Liebe gibt es also wirklich, dachte ich, als ich die romantischen Gassen sah, wo sich die Menschen ungeniert in die Arme nahmen. Ich setzte mich in ein kleines unscheinbares Café, das von außen nach nichts aussah, aber die besten Croissants der Welt machte. Ich kuschelte mich in meine dicke Daunenjacke, setzte mich nach draußen und ließ Paris auf mich wirken. Die Menschen waren alle so wundervoll, so märchenhaft. Das war mein Eindruck, damals, als ich noch jung und voller Träume war. Ausgefallene, gewagte Klamotten, tolle Haarschnitte und eine einmalige französische Arroganz, die aber nicht abschreckend war. Für mich war der Klang der französischen Sprache in meinen Ohren wie Musik. Ich schlief lange, trank viel Kaffee, aß viel und beobachtete die Menschen um mich herum. Mich interessierte nicht so sehr die Kultur, sondern mehr das Leben der Pariser, die mir so magisch vorkamen. Zwar stieg ich auf den Eifelturm, besuchte die Museen in Paris, aber die Atmosphäre war mir viel wichtiger. Und dann begegnete sie mir wie aus dem Nichts, dieses unglaubliche Wesen, das wie aus einer anderen Welt zu sein schien.
     
    Ich schlenderte über den Place du Tertre in Montmartre und beobachtete die Touristen, die trotz der Kälte ein Foto nach dem anderen schossen. Plötzlich sah ich eine Frau. Sie war eingehüllt in eine dicke Jacke, hatte Handschuhe an, eine Mütze auf dem Kopf und einen dicken Schal um den Hals gebunden. Mein Blick folgte ihr, sie schlenderte umher, scheinbar ohne Ziel. Ich musste sie die ganze Zeit anstarren. Es waren nicht die Klamotten, die mich so faszinierten, nein, es waren die Tattoos, die sie mitten im Gesicht trug. Sie musste mindestens 15 Jahre älter als ich sein, aber das störte mich nicht. Sie setzte sich in ein Café, trank einen Kaffee und beobachtete anscheinend wie ich die Menschen um sie herum. Als sie ging, heftete ich mich an die Fersen der Unbekannten, bis sie sich abrupt zu mir umdrehte und mich auf Französisch ansprach. Ich verstand sie und mir wurde plötzlich bewusst, dass ich sie verfolgte. Ich wurde rot, das Blut schoss mir in den Kopf und ich fing an, auf Französisch zu stottern.
    „ Äh, tut mir Leid, aber ich wollte dich nicht belästigen. Wir haben wohl zufällig den gleichen Weg“.
    „ Ich habe dich bereits in Montmartre gesehen. Was willst du von mir?“
    Sie durchdrang mich mit ihren Blicken. Ihre Augen waren faszinierend und die Tattoos gaben ihr ein mysteriöses Aussehen. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, also drehte ich mich um und wollte gehen.
    „ Hast du ein Tattoo?“
    Ich blieb stehen und wünschte mir, ihr nie begegnet zu sein, doch ich konnte nicht weitergehen. Ich drehte mich um.
    „ Nein, ich habe kein Tattoo, warum fragst du?“
    „ Komm mit.“
     
    Warum ich mitging, weiß ich heute nicht mehr. Ich war einfach fasziniert von dieser Frau, und ich wusste, dass ich ihr folgen musste. Wir gingen ungefähr zehn Minuten nebeneinander her, ohne ein Wort zu wechseln. Die Gassen wurden unheimlich, immer mehr fiel mir auf, dass ich mich vom belebten Touristenzentrum entfernte. Menschen saßen auf
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