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Kein Weg zurück

Kein Weg zurück

Titel: Kein Weg zurück
Autoren: Natalie Schauer
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den Straßen, rauchten, tranken und stritten. Mir gefiel das. Wir bogen in eine kleine Seitengasse ein und blieben vor einem Laden mit geschlossenen Gittern stehen. Anscheinend war es ihr Laden, denn sie öffnete die verschiedenen Schlösser und befahl mir ruppig, ihr zu helfen, das Gitter hochzuschieben. Hinter der Glasfront zeichnete sich nun ein Studio ab. Ich sah Bilder von tätowierten und gepiercten Menschen.
    „ Willst du nicht reinkommen?“
    Ich folgte ihr in das Studio, das einen Empfangsbereich hatte, in dem viele Ordner mit verschiedenen Tattoo-Mustern standen. Die Wände waren komplett mit tätowierten Menschen vollgehängt. Für mich war das Neuland, ich hatte nicht viel übrig für Tattoos und kannte mich diesbezüglich nicht aus. Sie zog ihre Winterklamotten aus und nahm die Mütze ab. Darunter hatte sie pechschwarze Haare verborgen gehabt, die sie zu einem engen Zopf gebunden trug. Sie hatte zwei Tattoos, eins auf der linken Schläfe und eins auf der rechten. Neben dem linken Auge war ein Schriftzeichen zu sehen, dessen Bedeutung ich nicht kannte. Auf der rechten Schläfe hatte sie einen Engel, der die Hände zum Gebet gerichtet hatte. Es waren beides recht ungewöhnliche Tätowierungen, an ungewöhnlichen Stellen dazu, fand ich.
     
    Ich wusste nicht, was ich machen sollte, also sah ich mir die Bilder an. Sie folgte mir mit ihrem Blick, das merkte ich, und das machte mich nervös.
    „ Wie heißt du, Junge?“
    „ Wieso sprichst du mich mit ‚Junge‘ an?“
    Ich war ziemlich verärgert, denn ich wollte als Mann gesehen werden.
    „ Weil du einer bist, oder nicht?“
    Ich antwortete nicht. Ich war verletzt. Warum, das weiß ich heute nicht mehr. Ich kannte diese Frau nicht, fühlte mich aber ungewöhnlich stark zu ihr hingezogen. Plötzlich bemerkte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich spürte, wie das Adrenalin durch meinen Körper jagte. „Soll ich dir ein Tattoo stechen?“
    Ich drehte mich nicht um, sondern blieb einfach so stehen. Ich wusste nicht, ob ich das wollte, aber ich wusste, ich musste bei ihr bleiben. Anstatt zu antworten, drehte ich mich um und küsste sie. Anders als erwartet, erwiderte sie meinen Kuss, was mich sehr überraschte. Er war so leidenschaftlich, dass ich glaubte, der Boden würde mir unter meinen Füßen weggezogen. Sie küsste mit einer Intensität, die ich nicht kannte. Plötzlich war nicht ich derjenige, der die Situation in der Hand hatte, sondern sie, diese unglaubliche Person, deren Namen ich noch nicht einmal kannte. Genauso schnell, wie der Kuss begonnen hatte, so schnell war er wieder vorbei. Ich zitterte am ganzen Körper. Ja, es mag lächerlich klingen, aber ich hatte weiche Knie wie nach meinem ersten Kuss als Junge.
    „ Was willst du eigentlich von mir?“
    Auf diese Frage wusste ich keine Antwort. Ich war ihr wie ein Verrückter gefolgt, küsste sie einfach so und stand nun in ihrem Tattoo-Studio.
    „ Ich weiß es nicht.“
    Ich bemerkte, wie ich rot wurde, das war mir peinlich.
    „ Was schleppst du da eigentlich mit dir rum?“
    „ Ach, das ist nichts Besonderes.“
     
    Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, da hatte sie sich schon meine Mappe geschnappt und blätterte darin herum. Sie sah überrascht aus, sogar sehr. Sie setzte sich an den Tresen und betrachtete meine Zeichnungen.
    „ Die sind wirklich gut. Hast du die wirklich selber gemacht?“
    Es imponierte mir, dass sie das sagte und ich traute mich, näher an sie heranzutreten.
    „ Ja, aber die sind nicht besonders gut, ich kann es besser.“
    „ Die sind verdammt nochmal sehr gut. Glaub mir, ich verstehe etwas davon.“
    Darauf sagte ich nichts, sondern sah mich unsicher weiter im Laden um.
    „ Wem gehört dieses Studio?“
    „ Na, was denkst du denn?“
    „ Du bist eine Tätowiererin?“
    Das passte irgendwie nicht in mein Bild. Ich stellte mir immer bullige, kahlgeschorene Männer als Tätowierer vor.
    „ Ja, stell dir vor, ich bin eine Tätowiererin.“
    Sie lachte und dabei sah sie noch hinreißender aus.
    „ Komm morgen wieder, ich habe einen Job für dich.“
    „ Woher willst du wissen, ob ich einen Job suche?“
    „ Komm oder lass es bleiben.“
    Mit diesen Worten drängte sie mich zum Gehen, was ich auch tat.
     
    Ich wanderte ziellos durch das nächtliche Paris, aufgekratzt, lebendig. Ich fühlte mich sonderbar wohl in meiner Haut. Diese Frau faszinierte mich, ich konnte nur noch an ihre Lippen denken, die die meinen berührten. Sie war keine Schönheit im
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