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Kein Lord wie jeder andere (German Edition)

Kein Lord wie jeder andere (German Edition)

Titel: Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
Autoren: Jennifer Ashley
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Genüssen ebenso wenig wie von Porzellan.
    »Bestimmt überrascht es Sie, dass ein eingefleischter Junggeselle wie ich sich die Flügel stutzen lassen will«, sagte Mather jovial. »Aber falls Sie sich fragen, ob ich in Zukunft auf meine kleinen Freuden verzichten werde, so ist die Antwort: nein. Sie können gern jederzeit vorbeikommen und sich an dem Spaß beteiligen. Die Einladung gilt selbstverständlich auch für Ihre Brüder.«
    Mit Mathers Damen hatte Ian schon Bekanntschaft gemacht. Es waren Frauen mit abgestumpftem Blick, die gegen entsprechende Bezahlung Mathers Neigungen bedienten.
    Mather griff nach einer Zigarre. »Heute Abend gehen wir in die Oper. Kommen Sie doch auch dorthin, dann stelle ich Ihnen meine Verlobte vor. Ihre Meinung über sie interessiert mich. Alle Welt weiß, dass Sie bei Frauen einen ebenso erlesenen Geschmack haben wie beim Porzellan.« Er kicherte.
    Ian schwieg. Er musste die Schale vor diesem Banausen retten. »Eintausend Guineen.«
    »Sie sind ein harter Brocken, MacKenzie.«
    »Eintausend Guineen, und ich komme in die Oper.«
    »Also schön, auch wenn Sie mich damit ruinieren.«
    Das hatte Mather wohl eher selbst zu verantworten. »Von dem Verlust werden Sie sich schon erholen. Ihre Zukünftige ist doch reich.«
    Mather lachte, und sein schönes Gesicht strahlte. Mit diesem Lächeln brachte er Frauen jeden Alters zum Erröten oder dazu, sich verlegen hinter ihrem Fächer zu verbergen. Mather beherrschte wahrhaft meisterlich die Kunst, ein Doppelleben zu führen.
    »Wohl wahr, und schön ist sie auch noch. Ich kann mich glücklich schätzen.«
    Mather klingelte nach seinem Butler und nach Curry, Ians Diener. Curry brachte eine mit Stroh ausgelegte Holzkiste, in die Ian die Drachenschale bedachtsam legte.
    Er hasste es, eine solche Schönheit zu verhüllen, und berührte die Schale noch einmal. Ian ließ keinen Blick von ihr, bis Curry die Kiste mit einem Deckel verschloss.
    Inzwischen hatte Mather seinen Butler angewiesen, Cognac auszuschenken. Ian nahm das angebotene Glas und setzte sich an Mathers Schreibtisch, auf dem Curry das Heft mit den Wechselformularen bereitgelegt hatte. Er stellte sein Glas ab und tauchte den Federhalter in die Tinte. Als er sich zum Schreiben vorbeugte, bemerkte er den schwarzen Tintentropfen, der in perfekter kreisrunder Form an der Feder hing.
    Beim Anblick dieser makellosen Kugel, die durch die Oberflächenspannung der Tinte an der Federspitze gehalten wurde, erfüllte ihn eine tiefe Begeisterung. Diese Perfektion, dieser Glanz, ein Wunder.
    Unendlich lange hätte Ian so dasitzen und diese Vollkommenheit bestaunen mögen, doch er wusste, dass der Tropfen bald von der Feder fallen und für immer verloren sein würde. Könnte doch sein Bruder Mac etwas so Erlesenes und Schönes malen, Ian würde es wie einen Schatz hüten.
    Er wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, als er Mather sagen hörte: »Hol mich der Teufel, aber er ist tatsächlich verrückt!«
    Der Tropfen fiel, fiel, fiel, bis er auf dem Papier zerspritzte und in der schwarzen Tinte seinen Tod fand.
    »Soll ich für Sie schreiben, M’lord?«
    Ian blickte in das freundliche Gesicht seines Dieners – ein Bursche aus London, der sich in seiner Jugend als Taschendieb durchgeschlagen hatte.
    Ian nickte bedächtig und überließ Curry den Federhalter. Der Diener tauchte die Feder in die Tinte und hielt sie so, dass Ian die Spitze nicht sehen konnte. Dann stellte er den Wechsel sorgfältig aus.
    Während Ian akribisch seine Unterschrift unter den Wechsel setzte, spürte er Mathers Blick auf sich lasten.
    »Macht er das häufiger?«, fragte Mather, nachdem Ian sich erhoben hatte, um Curry das Ablöschen der feuchten Tinte zu überlassen.
    Die Wangen des Dieners färbten sich rot. »Es ist alles in Ordnung, Sir.«
    Ian trank rasch sein Glas leer und nahm die Holzkiste. »Wir sehen uns heute Abend in der Oper.«
    Er reichte Mather nicht die Hand, was dieser zwar mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis nahm, sich aber dennoch leicht verneigte. Lord Ian MacKenzie, Bruder des Herzogs von Kilmorgan, stand gesellschaftlich über ihm, und Mather war sich dessen sehr bewusst.
    In der Kutsche stellte Ian die Kiste neben sich auf die Bank. Er spürte die Schale in ihrem Behältnis, rund und vollkommen, und ihre Perfektion füllte eine Leere in ihm.
    »Es steht mir ja nicht zu, das zu sagen«, bemerkte Curry, als die Kutsche mit einem Ruck auf dem regennassen Pflaster anfuhr. »Aber der Mann taugt nichts.
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