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Kein Job fuer schwache Nerven

Kein Job fuer schwache Nerven

Titel: Kein Job fuer schwache Nerven
Autoren: Heyne
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Herr Lombardo hing von innen im Sitzen an der Klinke, und das seit vier Wochen. Denn seine Schwester war zwar tatsächlich zu ihm gekommen. Aber nachdem sie lange genug an seiner Tür geläutet hatte, war sie unverrichteter Dinge wieder zurück nach Italien gefahren.
    Wir haben uns beim Putzen öfter gefragt, was das für eine merkwürdige Reaktion ist. Klar, wenn man in Obergiesing wohnt und ist in Untergiesing mit wem verabredet, und der ist nicht da, da geht man freilich wieder heim. Aber wenn man extra aus Italien kommt, sogar wenn’s nur aus dem näheren Norditalien ist, und man hat noch drei Tage vorher telefoniert, und der Besuchte macht nicht auf, da wartet man doch wenigstens ein bisschen, und dann macht man sich Sorgen. Aber vielleicht war das auch generell ein Teil der Ursache für seinen Selbstmord: nämlich, dass es im gesamten Umfeld von Herrn Lombardo ein wenig an Herzenswärme gefehlt hat.
    Seine Schwester hat uns mit der Reinigung der Wohnung beauftragt. Sie wirkte nicht sehr erschüttert, am wichtigsten war ihr jedenfalls, dass man die Möbel retten könnte. Ich konnte ihr nichts versprechen. In vier Wochen haben Geruchsmoleküle nun einmal viel, viel Zeit, sich in durchlässigen Oberflächen einzunisten, und dazu gehört auf jeden Fall natürlich auch Holz. In diesem Fall allerdings bestand eine gute Erfolgschance: Die antiken Schränke und Kommoden waren durchweg sorgfältig lackiert, mit ein wenig Glück hatte sich so der schlimmste Geruch abhalten lassen.
    Um aber nicht doppelt und dreifach zu arbeiten, begann ich zunächst mit dem Badezimmer. Die Tür war definitiv nicht mehr zu retten, die musste man einfach aushängen und wegwerfen. Und nachdem der tote Körper von Herrn Lombardo an den Türstock gesackt war, musste auch der Türstock weg – er war, klar, altbautypisch, nicht aus Stahl, sondern aus Holz. Dann machte ich mich ans Öffnen des gefliesten Badezimmerbodens.
    Manche Gesetze bewahrheiten sich immer wieder. Natürlich fragen einen die Auftraggeber jedes Mal von Neuem: Was soll das Theater, das sind doch Fliesen. Noch dazu im Badezimmer. Das ist doch das Material, mit dem man in den 1960er- und 1970er-Jahren im zoologischen Garten die pflegeleichten Affenkäfige ausgestattet hat, bevor alles auf artgerecht getrimmt worden ist, was soll denn da hindurchgehen? Und die Antwort ist immer wieder dieselbe: mit Glück nichts. Aber nach vier Wochen sollten wir lieber nachsehen. Nachdem ich die ersten kleinen Fliesen losgehebelt hatte, zeigte sich auch hier wieder das vertraute Karomuster im Estrich: Die Leichenflüssigkeit war durch die Fugen gesickert und zeichnete sich schön akkurat ab, dunkelgrau auf hellgrau. Wenn man das drinlässt, wird der nächste Mieter seines Lebens nicht mehr froh.
    Die Hauptmenge der Leichenflüssigkeit war natürlich neben den Fliesen durchgesickert, rund um die Türschwelle. Die Türschwelle konnten wir genauso wenig retten wie den Estrich darunter und das Parkett im Flur. Aber das Material unterm Flur war nur wenig bis kaum verunreinigt. Mit etwas Geduld hätte man hier nach einer abschließenden Behandlung mit Chlorbleichlauge schon aufhören können. Die Geduld braucht man deshalb, weil sich das Fliegenproblem, das es ja noch immer gab, mit der Zeit von selbst erledigt hätte: kein Futter mehr, das bedeutet keine Fliegen und dann auch keine Maden mehr. Man hätte halt 14 Tage abwarten müssen, bis die letzten Puppen geschlüpft waren. Diese Geduld hatten die Vermieter allerdings nicht. Wir sind in den nächsten zwei Wochen jeden Tag eine halbe Stunde gekommen und haben Fliegen beseitigt. Warum auch nicht? Irgendwann endet schließlich auch meine Zuständigkeit als Berater: Ich sage dem Kunden ein Mal, was nötig ist, ich sag’s ihm auch zwei Mal, aber ich mache ihm natürlich keine Vorschriften – und wenn er drauf besteht und es bezahlt, kann er selbstverständlich auch solche Extrawürste haben.
    Danach haben wir uns an die Wohnungsauflösung gemacht. Herrn Lombardos Schwester war da, deren Tochter und ihr Freund. Das war nicht richtig arbeitsintensiv, aber trotzdem anstrengend, weil diese drei Personen zu jedem Möbelstück etwa vier Meinungen hatten. Ob man es behalten sollte, wer es dann bekäme oder wer sich dann drum kümmern würde. Uns wäre es ja egal gewesen, es ging ja nur um die Reinigungskosten. Wegwerfen ist vom Leichenfundort-Reiniger-Standpunkt für den Kunden immer günstiger, und ich will mir hinterher nicht vorwerfen lassen müssen,
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