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Kein Job fuer schwache Nerven

Kein Job fuer schwache Nerven

Titel: Kein Job fuer schwache Nerven
Autoren: Heyne
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selten bis nie Post bekommt und und und …
    Ein zweiter häufiger Fall sind Selbstmörder, die sich extra an einen entlegenen Ort zurückziehen. Damit man sie nicht rettet, damit sie niemanden stören, oder auch weil man vielleicht bei der Selbsttötung generell lieber allein ist. Es ist uns bisher nur in einem einzigen Fall passiert, dass jemand sich umgebracht hat und nicht gefunden wurde, obwohl er sogar alle nötigen Vorkehrungen getroffen hatte, damit man ihn sofort findet. Und das war der Fall des Herrn Lombardo.
    Der Herr Lombardo war ein ruhiger, alleinstehender Herr Mitte 50, der in einer schönen, gepflegten Altbauwohnung lebte. Deswegen hat man ihn überhaupt schon nach zwei Wochen gefunden. Weil Altbauten häufig einen Fehlboden haben.
    Fehlböden kommen in modernen Mietshäusern kaum noch vor. Nicht, weil sie nicht funktionieren würden oder unsicher wären, aber ein Massivboden aus Stahlbeton ist einfach schneller fertig. Stahlträger verlegen, Holzverschalung bauen, Zement rein, trocknen lassen – so macht man das heute. Früher war das anders. Da hat man den Boden noch über Trägern verlegt. Damit es aber nicht jedes Mal, wenn ein Mieter durch ein Zimmer läuft, für den Mieter der Wohnung darunter klingt wie ein Schlagzeugsolo, hat man den Raum zwischen den Trägern mit Kies oder Schotter oder zerkleinertem Bauschutt aufgefüllt. Leben kann man mit beiden Böden normalerweise gleich gut. Sterben nicht unbedingt. Das wiederum liegt an den Fliegen.
    Es ist bei jedem Toten so, dass als Erstes die Fliegen kommen, wegen der Futtersuche und der Eiablage. Beides geht Hand in Hand, denn Fliegenmaden ernähren sich vorzugsweise von totem Gewebe. Deswegen kann man sie übrigens auch in der Medizin einsetzen: Es gab schon im vorletzten Jahrhundert richtige Madentherapien zur Wundsäuberung, inzwischen setzt man sie wieder ein, und sie funktionieren deshalb so gut, weil die Maden eben nicht alles fressen, was ihnen vor die Mundöffnung kommt, sondern gezielt das abgestorbene Gewebe zuerst.
    Irgendwann, wenn sie groß genug sind, hören sie zu fressen auf und verpuppen sich. Da wollen sie dann eher ihre Ruhe haben. Sie suchen nicht mehr die ständig leicht verfügbare Nahrung in Form des toten Herrn Lombardo, sie suchen den Schutz unterhalb des toten Herrn Lombardo, und wenn da Fliesen sind oder ein Estrich, dann sind sie schon ganz zufrieden, aber wenn sie stattdessen sogar einen Spalt finden, der sie in lockeres Füllmaterial führt, dann sind sie richtig begeistert.
    In den zwei Wohnungen direkt darunter begann es daraufhin, etwas seltsam zu riechen. Vor allem aber setzte eine Fliegenplage ein, weil die Maden unablässig als nun fertige Fliegen aus der Decke schlüpften. Man klingelte beim toten Herrn Lombardo, aber der machte natürlich nicht auf. Weshalb die Vermieter die Feuerwehr riefen, um die Wohnung zu öffnen.
    Die Wohnung war tadellos aufgeräumt, auch noch einen Tag später, als wir eintrafen. Sie war liebevoll möbliert, mit antiken Holzmöbeln, ein wenig plüschigen Sessel- und Sitzgarnituren. Und so, wie die Wohnung aussah, war einem sofort klar, dass der Herr Lombardo ganz sicher nicht geplant hatte, dass er mehrere Wochen lang im Badezimmer hängen würde. Im Gegenteil, er hatte sogar alles getan, was man nur tun konnte, damit das nicht passierte: Er hatte noch am Donnerstag vor seinem Tod mit seiner Schwester in Italien telefoniert und über ihren bevorstehenden Besuch bei ihm gesprochen. Sie hatten sich für den Samstag verabredet, sie hatte ihm noch einmal bestätigt, dass sie um die Mittagszeit eintreffen würde, und ungefähr zwei Stunden vorher nahm sich der Herr Lombardo ein Kunststoffseil und erhängte sich an der Türklinke.
    Das ist eine der ausgefalleneren Varianten, denn oft fragt sich der Normalmensch, der davon hört, wie man sich an einer Türklinke in einem Meter Höhe aufhängen soll. Manche raten dann noch, dass man dazu wohl die Schnur nach oben auf die andere Türseite lenken muss – aber dem ist nicht so. Es genügt, wenn man sich einfach hinsetzt, weil man nämlich offenbar nicht mehr aufstehen kann. Ich habe mal mit jemandem gesprochen, der diese Methode ausprobiert hat und in letzter Minute gerettet werden konnte – der hat mir Stein und Bein geschworen, dass er einfach nicht mehr hochkam, obwohl er es wollte. Und ob der Herr Lombardo es sich nun zum Schluss noch anders überlegt hatte oder nicht – als die Feuerwehr kam, war die Badezimmertür verschlossen, und der
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