Kein Fleisch macht gluecklich
und selbst so ein Ökopionier ist, hat im Interview mit der taz Ermutigendes gesagt: Für gesellschaftlichen Wandel brauche man Pioniere, die sich nicht vor Risiken scheuten oder Angst hätten, sich lächerlich zu machen. Dann folgten die nach, die sich nach der Beobachtung der Pioniere sicher genug fühlten, es ihnen gleichzutun und so weiter. Wenige könnten somit eine soziale Dynamik lostreten, die letztlich zum Mainstream werde und die Mehrheit erreiche.
Zunächst habe das Kaufverhalten der wenigen Pioniere keinen Einfluss auf das Angebot der Märkte. »Wenn man auf ein Hähnchen zu Mittag verzichtet, bedeutet das nicht, dass kurzfristig ein Hähnchen weniger geschlachtet wird«, sagt Schrader. »Aber wenn dauerhaft eine gewisse Zahl an Menschen weniger Hähnchen kauft, werden langfristig auch weniger Hähnchen produziert. Man sieht das ja immer wieder, dass bestimmte Produkte vom Markt verschwinden, wenn Konsumenten sie seltener kaufen. Hoffentlich ist es auch irgendwann das Massentierhaltungsfleisch, das keine Käuferschaft mehr findet. Vielleicht kauft dann kaum einer mehr Fleisch, das auf die Art produziert wurde, wie das heute üblich ist.« Schrader ist mittlerweile selbst so weit, das Fleisch in der Mensa nicht mehr essen zu wollen. Zuerst waren es bei ihm ethische Überlegungen, dann kamen die Gefühle dazu. »Wenn ich die Steaks und Hähnchenschenkel in diesen Mensatrögen sehe, finde ich das inzwischen wirklich richtig eklig.«
Märkte und Minderheiten
Bis Produktion und Handel sich ändern und sichtbar weniger produzieren und anbieten würden, müssten allerdings einige Kaufentscheidungen Einzelner zusammenkommen, denn gerade im Lebensmittelmarkt gebe es eine enorme Überschussproduktion. »Man legt im Zweifelsfall lieber zu viel ins Regal, damit immer was da ist«, so Schrader, »auch wenn man weiß, man kann nicht alles verkaufen. Es ist daher auch Teil einer Nachhaltigkeitskultur, dass man die Nichtverfügbarkeit von Waren akzeptieren muss. Wenn ich nicht will, dass der Supermarkt am Ende des Tages möglicherweise 30 Prozent in den Container kippt, muss ich akzeptieren, dass ab vier Uhr nachmittags bestimmte Warengruppen nicht mehr da sind.«
Damit sich Angebote und Märkte änderten, müssten Ideen aber nicht erst im Mainstream ankommen. Es reichten deutlich unter 10 Prozent ähnlich handelnder Konsumenten, um Märkte umzukrempeln, sagt Schrader. »Je nach Bereich müssen es 6 bis 8 Prozent sein, das reicht aus, um Märkte so zu verändern, dass sie wirklich ganz anders aussehen und sich das Angebot verändert, was dann wiederum die Nachfrage verändert und so weiter. Das hat eine Eigendynamik, die dann nicht mehr zu stoppen ist.« In Berlin kann ich das anhand des nahezu paradiesischen Angebotes für Veganer tatsächlich glauben. Fast jede Woche erfahre ich von neuen, öffentlich als vegan deklarierten Angeboten in Imbissen, Restaurants oder Supermärkten, seien es Suppe und Falafel vor der Arbeitsagentur im traditionellen Berliner Arbeiterbezirk Wedding oder veganer Kaviar im Discounter, der sogar haargenau schmeckt wie der aus Seehasenrogen. Kürzlich fragte mich die Bedienung eines Imbissladens bei meiner Bestellung: »Vegetarisch oder vegan?« So weit ist es schon gekommen.
Neben der langfristigen Veränderung der Märkte, die schon wenige Pioniere anstoßen könnten, gebe es noch weitere Motive, nachhaltiger zu leben. Das, was besonders ziehe, seien Motivallianzen aus gesellschaftlichem und egoistis chem Nutzen, erklärt mir Schrader. »Der individuelle Vorteil kann allein darin bestehen, sich moralischer zu fühlen oder von anderen Leuten nicht schief angeguckt zu werden. Das hängt natürlich extrem vom sozialen Umfeld ab, das bei den Menschen ja sehr verschieden ist.« Unter der Kontrolle von Kollegen und Öffentlichkeit sei es für ihn daher besonders leicht, einen Zusatznutzen aus umweltbewusstem Verhalten zu ziehen, gibt er zu. Mein eigener Zusatznutzen: Ich habe ziemlich schnell und einfach wieder mein Wohlfühlmaß erreicht – nach 15 Jahren Übergewicht.
Konsequent inkonsequent
»So ganz auf Steaks, Fisch oder Käse zu verzichten, kann ich mir nicht vorstellen.« Das ist sicher einer der am häufigsten geäußerten Sätze gegenüber Vegetariern bzw. Veganern. Ich hege den Verdacht, dass der Satz oft dazu dient, sich selbst schon an kleinen Schritten zu hindern. Bloß nicht konsequent inkonsequent sein. Warum eigentlich nicht? Es muss ja nicht jeder gleich auf alles und für
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