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Kein Erbarmen

Kein Erbarmen

Titel: Kein Erbarmen
Autoren: Gerold , Haenel
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»Bist du das, Tabori? Hier ist …«
    Dann war die Verbindung unterbrochen. Tabori blickte auf das Display. Lepcke, teilte ihm die Anruferkennung mit. Sein ehemaliger Kollege beim Morddezernat, nach Taboris Ausscheiden aus dem Dienst umgehend befördert und jetzt also ebenfalls Hauptkommissar. Was ihm Tabori aufrichtig gönnte, ohne jede Frage. Sie waren mehr als nur gute Kollegengewesen, fast schon Freunde, und auch jetzt noch war Lepcke einer der wenigen, zu denen Tabori nach wie vor Kontakt hielt, wenn sich ihre Gespräche bei den gelegentlichen Treffen in der Kneipe auch fast ausschließlich um Lepckes ständig wechselnde Beziehungen drehten. Gut zehn Jahre jünger als Tabori war Lepcke immer so ziemlich das genaue Gegenteil von allem gewesen, was Tabori zum nachhaltigen Entsetzen des Dezernats verkörperte: Mit dem ordentlichen Haarschnitt und der Verbissenheit, mit der er gerne und meist zu den unpassendsten Momenten die abwegigsten Paragraphen der Dienstordnung bemühte, schien er zum einen dem Bild des kleinkarierten Bürohengstes perfekt zu entsprechen, gleichzeitig hatte er die fast dandyhafte Macke, niemals anders als in maßgeschneiderten Anzügen und mit auf Hochglanz polierten und ausschließlich handgearbeiteten Lederschuhen zum Dienst zu erscheinen. Lepcke war ein Snob, was ebenso zur allgemeinen Verunsicherung beitrug wie seine private Seite, die ihn gänzlich unerwartet als lockeren und bissigschnoddrigen Typen zeigen konnte, der sich über alles lustig machte und nichts jemals ernst zu nehmen schien. Diese Seite war es auch, die die Frauen buchstäblich auf ihn fliegen ließ. Allerdings immer nur genau so lange, bis sie begreifen mussten, dass Lepcke ganz sicher nicht der Richtige war, um im vorstädtischen Reihenhaus mit dem posthorngeschmückten Briefkasten einen Haufen plärrender Kinder großzuziehen.
    Aber da Tabori keine Familie mit Lepcke gründen wollte, genügte es ihm zu wissen, dass er sich auf den Freund und Kollegen jederzeit blind verlassen konnte. Und sie waren tatsächlich ein gutes Team gewesen! Mehr als nur einmal hatte Lepcke ihm den Rücken freigehalten, wenn Taboris unorthodoxeErmittlungsmethoden wieder zu einer Auseinandersetzung mit dem durch und durch hierarchischen Polizeiapparat zu geraten drohten. Tabori, der schon aus Prinzip jeden offiziellen Dienstweg ablehnte, und Lepcke, der allein schon durch sein äußeres Erscheinungsbild auch offensichtliche Verstöße gegen die Regeln als in höchstem Maße unwahrscheinlich wirken ließ. Der Ärger kam meistens erst, wenn der nächstbeste Vorgesetzte erkennen musste, dass er sich von Lepckes Attitüde wieder mal hatte täuschen lassen. Dann stand allerdings meistens schon der Erfolg der Ermittlung fest, und so waren sie beide und jeder auf seine Art immer wieder ungeschoren davongekommen. Bis auf das eine Mal, als ihnen die Sache tatsächlich hoffnungslos aus dem Ruder gelaufen war und das Ganze in einem Desaster endete, aus dem Tabori die längst überfällige Konsequenz gezogen und den Dienst quittiert hatte. Wie es Lepcke jetzt ohne ihn ging, darüber sprachen sie nicht, als würde es keine Rolle weiter spielen. Obwohl Tabori immer mal wieder das unklare Gefühl hatte, sich feige aus der Verantwortung gegenüber dem Kollegen – und vor allem dem Freund – gestohlen zu haben. Und wenn Lepcke ihn jetzt anzurufen versuchte, musste es mehr sein als nur ein neues Problem mit irgendeiner flüchtigen Affäre …
    Tabori ließ die Tür offen stehen und eilte die Treppe hinunter. Du reagierst wie ein Pawlowscher Hund, dachte er, dem schon das Wasser im Maul zusammenläuft, wenn er auch nur die vage Idee hat, dass es gleich Futter geben könnte. Gib’s zu, Tabori, du bist noch lange nicht fertig damit, dass dich keiner mehr braucht. Du wünschst dir, dass ohne dich gar nichts geht und dass die anderen das endlich begreifen und dich aus deiner Starre befreien. Du bist ein Idiot!
    Elsbet hockte auf dem Drehstuhl hinter dem Empfangstresen und tippte irgendwelche Abrechnungen in ihren Computer.
    »Ich muss telefonieren«, sagte Tabori. »Das Netz reicht mal wieder nicht.« Zur Erklärung hielt er sein Handy hoch und tippte auf das Display.
    Elsbet nickte und schob ihm den Festapparat hinüber.
    Er wählte Lepckes Handynummer. Lepcke nahm schon nach dem ersten Klingeln ab.
    »Was gibt’s?«, fragte Tabori. »Du hast angerufen.«
    »Wo bist du?«
    »In Dänemark.«
    »Wieder in deinem Hotel da?«
    »Hab ich dir doch beim letzten Mal
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