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Kein Erbarmen

Kein Erbarmen

Titel: Kein Erbarmen
Autoren: Gerold , Haenel
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kennen würde?«
    Lepcke drehte sich zu Bohnenkamp.
    »Lass uns mal einen Augenblick allein, ja? Das muss dich jetzt nicht interessieren.«
    Der Pathologe warf ihm einen spöttischen Blick zu.
    »Fünf Minuten«, sagte er. »Und auch nur, weil ich sowieso aufs Klo muss.«
    Unerwartet zog er plötzlich ein Skalpell aus seinem Kittelhemd, neu und noch in Plastikfolie verschweißt, und hielt es Lepcke hin.
    »Hier, ein kurzer Schnitt genügt.« Er fuhr sich demonstrativ mit dem Daumen über die Kehle. »Und glaub mir, Lepcke, du würdest nicht nur dir einen großen Gefallen tun.« Mit einem provozierenden Grinsen nickte er Tabori zu.
    »Deine Witze waren noch nie besonders gut«, knurrte Lepcke. »Hau bloß ab, bevor ich dir das Ding an die eigene Kehle setze.«
    »Ich hab’s gewusst«, meinte Bohnenkamp schulterzuckend, »ihr steckt immer noch unter einer Decke.«
    Lepcke und Tabori warteten, bis er den Raum verlassen hatte.
    »Was war das jetzt?«, fragte Tabori. »Der tickt doch nicht mehr richtig.«
    »Wie man in den Wald reinruft, so schallt es heraus«, erwiderte Lepcke. »Vergiss nicht, du hast noch nie eine Gelegenheit ausgelassen, ihn als den kleinen Pisser hinzustellen, der er auch ist. Und kaum hat er mal für ein paar Monate gedacht, er wäre dich endlich los, tauchst du plötzlich wieder auf und erinnerst ihn daran, dass seine kleine Welt immer noch von solchen unverbesserlichen Spinnern wie dir bedroht wird. – Ist das T-Shirt eigentlich neu?«, setzte er mit einem Blick auf Taboris Shirt hinzu, auf dem zwei Panzer abgebildet waren, die sich mit ausgerichteten Mündungsrohren gegenüberstanden: BIS EINER HEULT erklärte der dazugehörige Schriftzug unter dem Bild.
    »Ist von Lisa. Ich bin noch nicht mal dazu gekommen, meine Sachen auszupacken, da standest du schon vor der Tür.«
    »Stichwort!«, nickte Lepcke. »Also wieder zu uns.« Er zeigte mit dem Kopf zu der Frauenleiche hinüber. Als er weiterredete, war jede freundschaftliche Sympathie aus seiner Stimme verschwunden. »Entweder bist du hoffnungslos eingerostet oder du versuchst, mich zu verarschen. Du musst nicht denken, ich wäre inzwischen verblödet, nur weil du nicht mehr dabei bist! Dänemark. Dein Urlaub in diesem Hotel da. Und ich hab dich angerufen, erinnerst du dich?«

2
    Eine Woche vorher.
    Es war später Vormittag. Tabori hatte den Kopf zurückgelehnt und die Augen halb geschlossen. An dem Fahnenmast neben ihm knatterte der Danebro rotweiß gekreuzt vor einem unwirklich blauen Himmel. Halblaut drang ab und an ein Gesprächsfetzen von den anderen Tischen auf der Kaffeeterrasse herüber. Irgendwo weiter weg bellte ein Hund. Kein Autolärm, keine Flugzeuge, kein Radiogeplärre. Das unablässige Geräusch der Wellen, die gegen den Strand anrannten, verstärkte den Eindruck von … Frieden! Das war das einzige Wort, das die Stimmung treffend zu beschreiben schien.
    Tabori war nicht zum ersten Mal hier. Schon seit mehreren Jahren hatte er es sich zur Regel gemacht, wenigstens ein paar Tage gegen Ende des Sommers im »Lerup Strandhotel« zu verbringen, nachdem die meist deutschen Ferienhaus-Touristen bereits fast alle wieder abgezogen waren und weit und breit kein nackter Studienrat mehr mit rotverbrannten Schultern beim Family-Tennis das Engagement zeigte, das ihm im Unterricht wahrscheinlich schon lange abhanden gekommen war.
    Tabori liebte das alte Strandhotel, das wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten auf den Dünen hockte. Eigentlich ein eher hässlicher Kasten, ein lang gestreckter, grau gestrichener Holzbau, auf dessen Fluren alle paar Meter ein Feuerlöscher knallrot auf den Ernstfall hinleuchtete, mit altertümlichenMessinghähnen an klobigen Waschbecken und Betten, deren Matratzen für immer den Geruch nach Sand und Salz und der Feuchtigkeit des allgegenwärtigen Meeres auszuatmen schienen. Das Ganze hatte einen leicht verblichenen Charme, und die Küche war gut, wenn auch nach spätestens zwei Tagen Taboris Magen aufgrund des dänischen Kaffees und des hausgemachten Walnusskuchens am Nachmittag kaum noch die abendliche Scholle zu bewältigen vermochte, die grundsätzlich in mehr als reichlich bemessener Buttersoße zu ertrinken drohte.
    Bis zum nächsten Ort waren es gut drei Kilometer, wobei »Ort« für das Ensemble aus stillgelegter Tankstelle, Pølserbude und wahllos in die Landschaft gewürfelten Ferienhäusern deutlich übertrieben war. Früher hatte Lerup Strand noch mit den klobigen Fischkuttern punkten können,
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