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Kein Entrinnen

Titel: Kein Entrinnen
Autoren: Romain Sardou
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Rocks Hund unterbrochen worden? Oder durch den Schnee?
    Dieser Winkel des Bundesstaats war vollkommen abgelegen, doch schon wenige Kilometer entfernt wäre das Massaker in die Zuständigkeit der Bezirkspolizei von Concord oder von Deerfield gefallen. An dieser Stelle jedoch waren Sheridan und seine Leute per Gesetz die Einzigen, die eingreifen und den Fall übernehmen durften.
    »Hat das eine Bedeutung? Und warum gerade wir?«
    Sheridan blickte auf seine Uhr. Er begab sich zu seiner Sekretärin Betty, einer rundlichen Rothaarigen mit Haarknoten und einer überdimensional großen gelben Brille. Sie hackte pausenlos auf die Tastatur ihres Computers ein, selbst wenn sie sprach oder telefonierte.
    »Haben Sie die Berichte von den Telefonzentralen erhalten, um die ich Sie gebeten habe?«, fragte er.
    »Ja, Chef. Die der letzten vierundzwanzig Stunden.«
    Ohne mit dem Tippen aufzuhören, zeigte sie auf zwei Faxseiten auf einer Unterschriftenmappe.
    Nach Sheridans Ansicht mussten die Eltern oder die Angehörigen der Opfer sich inzwischen allmählich Sorgen machen. Und vielleicht wandten sie sich an die Behörden. Er hatte die Notrufzentralen der Polizei von Concord und Umgebung sowie die Vermisstenabteilung kontaktieren lassen. Doch seit der Nacht war kein Anruf in diese Richtung eingegangen. Nichts als falsche Alarmmeldungen, die sich sofort aufgeklärt hatten.
    »Es ist wohl noch ein bisschen früh«, sagte er sich. Gleichwohl war er überrascht.
     
    Das Allgemeinkrankenhaus von Concord erhob sich auf einem Hügel im Osten der Stadt, in 250 Pleasant Street. Es hatte eine hohe, reich gegliederte Fassade aus ockerfarbenen Ziegelsteinen, wie man sie überall in Neuengland findet. Es war nagelneu und verfügte über etwa dreißig Abteilungen mit ausgezeichneter Ausstattung.
    Die Ankunft der vierundzwanzig Leichen hatte die Organisation des gerichtsmedizinischen Labors durcheinandergewirbelt. Die eigentlich anstehenden »Nummern« waren wieder in ihre Kühlfächer verfrachtet oder mangels Platz einfach entlang des zentralen Flurs aufgereiht worden. In den fünf Autopsiesälen beugte sich eine Schar von Experten über die Körper der Opfer. Es waren weder die Medizinstudenten noch die üblichen Hilfskräfte der Abteilung; die meisten von ihnen trugen einen Kittel mit der Aufschrift D-MORT auf Rücken und Außentasche. D-MORT, das bedeutete: Disaster Mortuary Operations Response Team. Diese Organisation bestand aus ehrenamtlichen Gerichtsmedizinern, Anthropologen, Experten und Ärzten aller Art, die sofort nach einer Massenkatastrophe wie einem Flugzeugabsturz, einem Großbrand oder einem terroristischen Attentat bereitstanden. Sie verfügten über beachtliche mobile Gerätschaften und konnten in sechs bis zehn Stunden die Arbeit bewältigen, für die das Krankenhausteam und die kriminalpolizeiliche Untersuchungsabteilung von Concord mehrere Tage brauchen würden.
    Doktor Basile King beendete eine Autopsie und trat in sein an die Labors angrenzendes Büro, ein winziges Zimmer, das mit Befunden, Untersuchungsnotizen und Totenscheinen vollgestopft war. Er trug eine Haube und einen Kittel aus dünnem blauem Papier. Sein Gesicht war das eines Mannes von sechzig Jahren, der vorzeitig aus dem Schlaf gerissen worden war.
    Er setzte sich an seinen Arbeitstisch, strich sich langsam mit einer Hand über die Augen und nahm dann den Telefonhörer ab.
    »Geben Sie mir Colonel Sheridan, ja? ( Lange Pause .) Chef? Basile am Apparat. Wir haben allmählich Neuigkeiten. Sie sollten selbst vorbeikommen. Es gibt wirklich beunruhigende Fälle. Um nicht zu sagen, welche zum Ausflippen, wie es die jungen Leute heute formulieren würden …«
    Zwanzig Minuten später traf Sheridan an Ort und Stelle ein. Er fand es reichlich unangenehm, sich in den Gängen zwischen mit Leichen beladenen Wägen zu bewegen. Selbst wenn sie mit einem weißen Tuch bedeckt waren, sah man irgendwann immer Fußknöchel oder eine schlaffe Hand, die herausragten.
    Sofort nach seiner Ankunft eilte King ihm in den ersten großen Untersuchungssaal voraus. Sie schlüpften zwischen den Tischen hindurch, die von an der Decke angebrachten Leuchtstoffröhren und Halogenlampen mit Vergrößerungsglas beschienen wurden. Manche Pathologen hielten ein Diktiergerät an die Lippen, um die Y-Schnitte vom Kinn bis zum Schambein zu kommentieren, die ihre Partner durchführten. Die Wagen mit den chirurgischen Bestecken klapperten jedes Mal, wenn sie bewegt wurden, wie scheppernde Töpfe. Die
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