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Kein böser Traum

Kein böser Traum

Titel: Kein böser Traum
Autoren: H Coben
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zweideutigen Namen. Am Telefon nimmst du selbstverständlich an, dass er am Anfang mit einem J und am
Ende mit einem y geschrieben wird. Vor 15 Jahren habe ich so einen Anruf bekommen. Besagter Mittelsmann …«
    Scott schüttelte den Kopf.
    » … gab mir eine Adresse. Ich erhielt präzise Angaben darüber, wann ›Jerry‹«, Scanlon deutete mit den Fingern Anführungszeichen an, »zu Hause sein würde.«
    Die eigene Stimme schien Scott plötzlich fremd zu sein. »Es hieß, es war ein Unfall.«
    »Ist bei Brandstiftung die Regel. Vorausgesetzt man versteht sein Geschäft.«
    »Sie können mir viel erzählen.«
    Doch dann sah Scott in diese Augen, und seine Welt geriet aus den Fugen. Bilder stürzten auf ihn ein: Geris ansteckendes Lachen, das kaum zu bändigende Haar, die Zahnklammer, die Art, wie sie ihm bei Familienfeiern die Zunge rausgestreckt hatte. Ihr erster richtiger Freund (ein Idiot namens Brad), die Katastrophe, als sie zum Abschlussball der Unterstufe keinen Begleiter gefunden hatte, ihre Aufnahme ins College.
    Scott fühlte, wie seine Augen feucht wurden. »Sie war erst einundzwanzig.«
    Keine Reaktion.
    »Und warum?«
    »Hintergründe interessieren mich nicht, Scott. Ich bin nur ein Auftrags…«
    »Das meine ich nicht.« Scott sah auf. »Mich interessiert, warum Sie mir das jetzt erzählen?«
    Scanlon betrachtete sich eingehend im Spiegel. Seine Stimme klang ruhig. »Kann sein, dass Sie Recht hatten.«
    »Recht? Womit?«
    »Mit dem, was Sie vorhin gesagt haben.« Er wandte sich erneut Scott zu. »Nachdem alles gesagt und alles getan ist, brauche ich vielleicht die Illusion, ein Mensch zu sein.«

Drei Monate später

1
    Bruchstellen entstehen aus heiterem Himmel, diese tiefen Zäsuren in deinem Leben, die dir wie ein Messer ins Fleisch schneiden. Im einen Moment ist es noch dein Leben, im nächsten Augenblick findest du es wie durch den Fleischwolf gedreht, bis zur Unkenntlichkeit verändert. In seine Einzelteile zerlegt, ausgeweidet wie ein Stück Wild. Und dann gibt es noch jene Momente, in denen sich dein Leben einfach aufdröselt wie ein Strickpullover. So als habe jemand an einem losen Faden gezogen. Die Veränderung vollzieht sich anfangs nur langsam, beinahe unmerklich.
    Für Grace Lawson begann alles im Fotogeschäft.
    Sie hatte schon beinahe die Klinke der Ladentür in der Hand, als sie eine entfernt bekannt klingende Stimme vernahm. »Warum kaufst du dir keine Digitalkamera, Grace?«
    Grace wandte sich der Frauenstimme zu. »Für diese technischen Neuheiten bin ich zu dämlich.«
    »Aber ich bitte dich! Digitale Technik ist ein Kinderspiel.« Die Frau hob die Hand und schnippte mit den Fingern. »Digitalkameras sind so was von bequem. Missglückte oder überflüssige Aufnahmen löscht man einfach. Wie Computerdateien. Bei unseren Weihnachtskarten zum Beispiel. Du glaubst es nicht, wie viele Fotos Barry geschossen hat, weil Blake gerade die Augen zugekniffen oder Kyle sich weggedreht hatte. Aber je mehr du machst, sagt Barry, desto sicherer kannst du sein, ein paar brauchbare zu finden. Und wo er Recht hat, hat er Recht, oder?«
    Grace nickte. Sie versuchte sich erfolglos an den Namen der
Frau zu erinnern. Ihre Tochter – Blake vermutlich – ging wahrscheinlich mit Graces Sohn Max in die erste Klasse. Oder war es das letzte Jahr im Kindergarten gewesen? Sie hatte Mühe, nicht den Faden zu verlieren. Graces Lächeln gefror allmählich zur Maske. Blakes Mutter war nicht unsympathisch, ging jedoch in der Masse der anderen unter. Und Grace fragte sich in diesem Moment nicht zum ersten Mal, ob das mittlerweile nicht auch auf sie zutraf, ob sie nicht ebenfalls eingetaucht war in das Meer vorstädtischer Einförmigkeit, ob ihre einst durchaus starke Individualität auf der Strecke geblieben war.
    Der Gedanke war alles andere als ein sanftes Ruhekissen.
    Blakes Mutter erging sich weiterhin in Elogen auf die Wunder des digitalen Zeitalters. Graces im Lächeln erstarrte Gesichtsmuskeln schmerzten. Sie warf einen Blick auf die Uhr und hoffte, die High-Tech-Mutter würde den Wink verstehen. 14 Uhr 45. Emma hatte nach dem Unterricht Training mit dem Schwimmteam, aber den Fahrdienst hatte heute eine andere Mutter.
    »Wir sollten uns mal treffen«, sagte Blakes Mutter jetzt weniger aufgeregt. »Zusammen mit Jack und Barry. Die beiden würden sich sicher verstehen.«
    »Absolut.«
    Grace nutzte die Atempause, um der anderen zuzuwinken, die Tür des Fotogeschäfts zu öffnen und hineinzuschlüpfen. Die
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