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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck
Autoren: Nancy Horan
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Füßchen auf den Boden. Das Mädchen packte die Daumen seiner Mutter und tapste stockend über den Flur ins Wohnzimmer. Zu dieser Jahreszeit ließen die Westfenster und die schweren Holzarbeiten das Wohnzimmer dunkel erscheinen. Mamah steuerte ihre Tochter in die angrenzende Bibliothek, wo die Sonne durch ein nach Süden gewandtes Fenster strömte. Dort blieb sie stehen, um in dem Licht ein wenig zu verweilen. Die Wärme fühlte sich für Mamah an wie Freude selbst. Manchmal, wenn ihr die Sonne geradewegs ins Gesicht schien, kam es ihr vor, als hätte ihre Haut ein eigenes Gedächtnis. Dann war sie noch einmal fünf Jahre alt und blickte vom Fenster des Farmhauses in Iowa, wo sie geboren worden war, auf die sommerlichen Felder hinaus.
    Mein Gott, wie sie die Sonne liebte; der vergangene Winter war der dunkelste, lähmendste gewesen, an den sie sich erinnern konnte. Es war beinahe April, doch noch kein Frühling in Sicht. Die übliche aufgeweichte Tristesse würde noch einen weiteren Monat andauern. Alles, was sie wirklich brauchte, dachte sie, war ein einziger Sonnenstrahl, der ins Haus drang. Sie könnte hier sitzen und den kommenden Tag überdenken, etwas planen. Vielleicht konnte sie zur Abwechslung einmal etwas erledigt bekommen.
    Lizzie saß noch im Nachthemd im Esszimmer und las die Morgenzeitung, das Haar offen auf den Schultern. »Heute ist großer Ausverkauf bei Field’s«, rief sie ihrer Schwester zu.
    »Niemand gestorben?«, Mamah hob Martha hoch und trug sie zu ihrem Kinderstuhl.
    »Nun, tatsächlich, die Katzenfrau. Drüben auf der Elm Street. Sie ist gestorben.«
    Mamah setzte Martha in ihren Stuhl, dann zauste sie ihre Nichte Jessica, die neben John ihre Frühstücksflocken aß. Sie genoss dieses Gefühl einer Atempause, das der Samstag ihr verschaffte, wenn die Kinder den ganzen Morgen in Hausschuhen und Schlafanzügen herumrannten, die Haushaltshilfe nicht da und Lizzie zu Hause war, die beim Frühstück die Todesanzeigen vorlas.
    »Wie war gestern die Rede des Capes?«, fragte Lizzie.
    »Ach, du kennst doch Frank. Hat sie alle mit seinem Charme herumgekriegt.« Mamah lachte. Ihre Schwester hatte ihre eigenen Spitznamen für Leute, deren Schwächen sie amüsant fand. Lizzie war auf die gleiche Weise hübsch, wie Jessica es gewesen war, mit zarten Gesichtszügen und hellblondem Haar. Während Jessica im Spielzimmer die Anführerin und die verwegene Optimistin gewesen war, war Lizzie für den trockenen Witz zuständig. »Du bist boshaft, weißt du das? Wer würde schon glauben, dass die nette Lehrerin der zweiten Klasse an der Irving School einen Streifen Gemeinheit in sich hat, der so breit ist wie der eines Stinktiers?«
    Lizzie ließ ihre Zeitung sinken und warf John einen Blick zu. »Ich glaube, deine Mutter hat mich gerade ein Stinktier genannt.« Der dunkelhaarige Junge bog sich vor Lachen. »Brauchst du etwas von Field’s?«, fragte Lizzie Mamah.
    »Wir könnten ein paar neue Laken für Johns und JessicasBetten gebrauchen«, sagte Mamah und band Martha eine Serviette um den Hals. »Aber ich kann nicht weg. Ich habe etwas…«
    Louise kam aus der Küche und trocknete sich die Hände an einem Handtuch ab. »Ich könnte die Kinder nehmen«, erbot sie sich.
    »Sie sollten heute nicht einmal arbeiten«, rügte Mamah.
    »Und was soll ich denn sonst machen?« Louise stemmte die Hände in die Hüften. »Vielleicht schwimmen gehen?«
    »Bei diesem Wetter können Sie den Kinderwagen nicht schieben.«
    Die größeren Kinder blickten von ihrem Frühstück auf. Sie witterten ein Abenteuer.
    »Ich komme mit, und wir tragen Martha abwechselnd«, sagte Lizzie.
    »Du könntest das Auto nehmen, falls es anspringt, Liz. Mal sehen, ob ich es in Gang bringe.«
    »Also gut. Ich bin in zehn Minuten angezogen. Und was ist mit euch?«
    Im Handumdrehen waren John und Jessica auf den Beinen und rannten trampelnd über den Flur.
Kapitel 3
    Als das Haus leer war, ging Mamah ins Bad und ließ Wasser in die Wanne laufen. Sie setzte sich auf den Rand und starrte an die Decke, wütend über sich selbst. Warum zum Teufel habe ich Frank hierher eingeladen?
    Es war vielleicht ein halbes Jahr her, seit sie und Edwin mit Frank und Catherine im Theater gewesen waren. Nach dem Bau ihres Hauses hatten sie sich eine Zeitlang ziemlich häufigmit den Wrights getroffen, vielleicht einmal im Monat. Inzwischen hatte sich eine freundliche Distanz eingestellt. Franks Ansehen war seit jenen frühen Tagen, in denen sie ihn wegen des Hauses
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