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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck
Autoren: Nancy Horan
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weniger.«
    Sie konnte sehen, dass etwas an ihm anders war. Sein Haar war kürzer. Hatte er Gewicht verloren? Sie schaute genau auf die eng gegürtete Taille seines Norfolk-Jacketts. Nein, er sah gesund aus wie stets. Seine Augen in seinem ernsten, jungenhaften Gesicht hatten einen fröhlichen Ausdruck.»Unser Leben wird von toten Gegenständen verkrustet«, sagte er gerade, »von Formen, die ihre Seele verloren haben. Und wir hängen an ihnen, versuchen, ihnen Freude abzugewinnen, versuchen uns glauben zu machen, dass sie immer noch diese Macht haben.«
    Frank trat vom Podium herunter und stand unmittelbar vor der ersten Reihe. Seine Hände waren gespreizt und gestikulierten, und seine Stimme klang so zärtlich, als spräche er zu Kindern. Sie kannte seine Botschaft nur allzu gut. Er hatte beinahe dieselben Worte zu ihr gesagt, als sie ihm in seinem Studio zum ersten Mal gegenüberstand. Sinn der Dekoration sei es nicht, etwas äußerlich zu verschönern, sagte er gerade. Sie sollte »Eignung, Ebenmaß, Harmonie in sich vereinen und als Resultat Ruhe schaffen«.
    Das Wort »Ruhe« schwebte durch den Raum, als Frank sich unter den Frauen umsah. Er schien Maß zu nehmen, ähnlich wie ein Prediger.
    »Vögel und Blumen auf Hüten…«, fuhr er fort. Mamah empfand so etwas wie Schadenfreude, als sie erkannte, dass er sein Thema weiterspann. Er würde sie für ihren schlechten Geschmack bestrafen, ehe er zu ihrer Rettung beisprang. Ihr Blick glitt zwischen den Federn und Schleifen hin und her, die vor ihr auf- und abhüpften, und kam auf einem künstlichen, blauen Vogel zur Ruhe, der sich in ein Hutband krallte. Sie beugte sich zur Seite und versuchte, die Gesichter der Frauen vor ihr zu erkennen.
    Sie hörte Frank »Imitation« und »Fälschung« sagen, ehe sich ein erneutes Schweigen herabsenkte.
    Ein Radiator rasselte. Jemand hustete. Dann begann ein Händepaar zu klatschen, und einen Augenblick später fielen hundert andere ein, bis der Applaus gegen die Wände brandete.
    Mamah unterdrückte ein Lachen. Frank Lloyd Wright bekehrtesie – so gut wie alle – vor ihren Augen. Soviel sie vor fünf Minuten gesehen hatte, hätten sie ihn ebenso gut ausbuhen können. Jetzt herrschte im Saal eine Atmosphäre wie in einem Erweckungszelt. Sie bekamen seine Religion, warfen ihre Krücken ab. Jede Einzelne von ihnen dachte, seine abschätzigen Bemerkungen hätten anderen gegolten. Sie stellte sich vor, wie die Frauen nach Hause rannten, um ihre hart gepolsterten Armsessel von Deckchen zu befreien und Vasen mit totem Gesträuch zu füllen, das sie noch irgendwo durch den Schnee lugen sahen.
    Mamah stand auf. Mit langsamen Bewegungen hüllte sie sich in ihren Mantel, zog die engen Ziegenlederhandschuhe an und steckte einige gelockte, dunkle Haarsträhnen unter ihren feuchten Filzhut. Sie hatte einen unverstellten Blick auf den ins Publikum strahlenden Frank. Sie trödelte dort in der letzten Reihe herum, und das Blut pochte in ihrer Kehle, während sie unablässig auf seinen Blick achtete, um zu sehen, ob er sich mit ihrem traf. Sie lächelte breit und meinte, einen Schimmer des Erkennens wahrzunehmen, einen weicheren Zug um seinen Mund, aber im nächsten Moment bezweifelte sie, ob sie überhaupt etwas gesehen hatte.
    Frank machte eine Geste in Richtung der ersten Reihe, und der vertraute rote Schopf Catherine Wrights löste sich aus dem Publikum. Catherine trat vor und stellte sich neben ihren Mann, und ihr sommersprossiges Gesicht leuchtete. Sein Arm lag um ihren Rücken.
    Mamah sank auf ihren Stuhl. Ihr war heiß in ihrem Mantel.
    Auf der anderen Seite erhob sich eine alte Frau von ihrem Stuhl. »Papperlapapp«, murmelte sie, während sie sich an Mamahs Knien vorbeizwängte. »Wieder nur ein kleiner Mann mit einem großen Hut.«
    Ein paar Minuten später wurde Frank im Flur von einer Schar Frauen umringt. Mamah bewegte sich langsam mit der Menge, die in Richtung Treppe strebte.
    »May-mah!« , rief er, als er sie bemerkte. Er drängte sich zu ihr durch. »Wie geht es dir, meine Freundin?« Er ergriff ihre rechte Hand und zog sie sanft aus dem Gewühl in eine Ecke.
    »Wir hatten vor, dich anzurufen«, sagte sie. »Edwin fragt immer wieder, wann wir wohl mit der Garage anfangen.« Sein Blick glitt über ihr Gesicht. »Bist du morgen zu Hause? Sagen wir, um elf?«
    »Ja. Unglücklicherweise wird Ed nicht da sein. Aber du und ich, wir können die Sache besprechen.«
    Auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Sie spürte,
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