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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck
Autoren: Nancy Horan
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vorbeizuspazieren. Entweder handelte es sich bei diesem Haus um einen unerhörten Missgriff oder aber um einen Geniestreich, je nach dem, wie man zu seinem Architekten stand, Frank Lloyd Wright. Ein »Präriehaus« nannten es die einen, wegen der langen, schmalen Backsteinbänder, die sich quer darüberzogen wie die Linien der Ebenen von Illinois. Beim ersten Hinsehen erschien mir das Haus der Huertleys wie eine schwere, rechteckige Schachtel. Sobald ich es betreten hatte, spürte ich jedoch, wie meine Lungen sich weiteten. Es bestand aus einem einzigen offenen Raum, in dem ein Zimmer ins andere überging. Ungestrichene Balken und Holzarbeiten in der Farbe von Baumstämmen leuchteten sanft, und prächtigstes Licht ergoss sich durch die grünen und roten Buntglasfenster. Das Innere fühlte sich sakral an, wie eine Kapelle im Wald.
    Edwin, als Ingenieur, empfand etwas anderes zwischen diesen Wänden. Er schwelgte in der Harmonie, die durch ausgeklügelte Systeme entstand. Integrierte Schubladen. Stühle und Tische in klaren Formen, die speziell für diese Räume angefertigt waren – Möbel für einen Zweck. Nicht ein einziger überflüssiger Gegenstand in Sicht. Edwin verließ pfeifend das Haus.
    »Wie sollen wir uns jemals so ein Haus leisten können?«, fragte ich, als wir außer Hörweite waren.
    »Unseres braucht nicht so groß zu sein«, sagte er. »Und uns geht es besser, als du denkst.«
    Edwin war inzwischen Vorstand von Wagner Electrics. Während ich Windeln gewechselt und versucht hatte, ein wenig Zeit für einen Spaziergang zu finden, hatte Edwin sich methodisch an die Spitze der Firma hochgearbeitet.
    »Ich kenne Frank Wrights Frau«, gestand ich. Ich hatte gemischte Gefühle gehabt, ob ich Ed in seinen Plänen ermutigen sollte, deshalb hatte ich es nie erwähnt. »Sie ist im Club mit mir im Ausschuss für Haus und Kunst.«
    Von da an nahm seine Kampagne Fahrt auf. Es ist nicht Edwins Art, etwas zu fordern, aber er trieb die Sache nach Kräften voran, ganz so, wie er mir den Hof gemacht hatte. Beharrlichkeit. Beharrlichkeit. Beharrlichkeit. Hätte er zur Zeit der Kreuzzüge gelebt, hätte das auf seinem Banner stehen müssen, wenn er in die Schlacht zog.
    Es war in erster Linie seine Hartnäckigkeit, die mich dazu bewogen hatte, ihn zu heiraten.
    In Ann Arbor hatten wir einander an der Universität kennengelernt, aber ich hatte mehrere Jahre nicht an ihn gedacht. Plötzlich stand er eines Tages vor der Tür der Pension in Port Huron, wo ich wohnte. Er war ein geschickter Plauderer und hatte ein ansteckendes Lachen. Er brauchte nicht lange, um die Bewohner von Mrs. Sandringhams Pension an der Seventh Street für sich einzunehmen. Als er zu meiner Bestürzung anfing, an den Freitagabenden aufzutauchen, räumten die Pensionswirtin und ihre kleine Gästefamilie – einschließlich meiner College-Zimmergenossin, Mattie Chadbourne – das Feld, damit die Beziehung aufblühen konnte.
    Ich leitete damals die öffentliche Bibliothek und war gewöhnlich ziemlich müde, wenn Edwin mich am Freitagabend besuchen kam.Eines Abends erzählte ich ihm, nur um von der Spannung abzulenken, die zwischen uns herrschte, von einer Angestellten, die trotz all meiner Bemühungen, sie aufzumuntern, immer einen trübsinnigen Eindruck machte.
    »Sag ihr, Glück sei nichts anderes als Übung«, sagte er. »Wenn sie nur vorgäbe, glücklich zu sein, wäre sie glücklich.« Etwas zutiefst Ansprechendes lag in diesem Moment in diesen Worten. Edwin war weder literarisch gebildet noch sonderlich reflektiert; seine Stärken lagen anderswo als meine. Er war ein guter Mann. Und er schaffte es, Dinge geregelt zu bekommen.
    In all den Jahren in Port Huron, als Lehrerin an der High School und später als Leiterin der Bibliothek, verklärte ich, was ich tagsüber tat – Dienerin des Wissens, Seelenärztin, die Bücher wie Pillen an ihre Studenten und Kunden ausgab. Die Nächte jedoch verbrachte ich beklommen zwischen Papierstapeln in meinem Zimmer: ein langer, unvollendeter Essay über Individualismus in der Frauenbewegung, eine unveröffentlichte Übersetzung irgendeines französischen Essayisten des achtzehnten Jahrhunderts, unter dessen Bann ich eine Weile gestanden hatte, dazu Bücher über Bücher voller Zeitungsausschnitte, die ich als Lesezeichen zwischen die Seiten gelegt hatte, Briefumschläge, Bleistifte, Ansichtskarten, Kämme. Ungeachtet gewaltiger Energieschübe schien es, als brächte ich nie einen vollständigen Zeitungsartikel
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