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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck
Autoren: Nancy Horan
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zurück. Ich erinnere mich sehr lebhaft an den Abend, als Ed und ich dort getraut wurden. Meine Schwestern hatten dasWohnzimmer mit gelben und blauen Blumen gefüllt, den Farben der Universität Michigan. Ein Mandolinenorchester spielte den Hochzeitsmarsch aus Lohengrin. Mattie, meine beste Freundin, war meine Trauzeugin, und ich erinnere mich, dass ich damals dachte, dass sie an diesem Abend besser aussah als ich. Ich war viel zu nervös, schwitzte die Seide durch. Aber Edwin war sein übliches gefasstes Selbst. Als alles vorbei war, zog er mich in eine Ecke und versprach mir, mein Fels in der Brandung zu sein. »Verlass dich auf meine Liebe«, sagte er, »und ich tue dasselbe bei dir.«
    Warum habe ich diese Worte damals nicht aufgeschrieben? Wenn ich sie mir heute ansehe, kommen sie mir vor wie eine Anleitung zu einem Desaster.
    Es geschah immer schriftlich, auf einem Blatt Papier, dass ich mich meines Lebens versicherte. Wenn ich es schaffe, all diese Puzzleteilchen meiner Erinnerung mit den Tagebucheinträgen, den Briefen und hingekritzelten Gedanken zusammenzusetzen, die mein Gehirn und meine Bücherregale verstopfen, dann kann ich vielleicht erklären, was geschehen ist. Vielleicht werden die Welten, die in den vergangenen sieben Jahren die meinen waren, dann auf dem Papier Ordnung und Logik und Ganzheit annehmen. Vielleicht kann ich meine Geschichte so erzählen, dass sie anderen zugutekommt.
    Mamah Bouton Borthwick
    August 1914

1907
Kapitel 1
    Mamah Cheney näherte sich dem Studebaker und legte ihre Hände seitlich auf die Kurbel. Sie hatte dieses Ding schon hundertmal gestartet, aber immer noch hörte sie jedes Mal, wenn sie nach der Kurbel griff, Edwins Worte. Pass auf deinen Daumen auf. Wenn du es nicht tust, kann die Kurbel zurückschlagen und dir den Daumen abtrennen. Sie kurbelte jetzt voller Zorn, aber unter der Motorhaube drang nicht einmal ein Stottern hervor. Sie ging über den knirschenden Altschnee auf der Fahrerseite und überprüfte das Handgas und die Zündung, dann wandte sie sich wieder der Kurbel zu und betätigte sie erneut. Noch immer nichts. Ein paar neckische Schneeflocken schwebten unter ihren Hutrand und ihr ins Gesicht. Sie blickte prüfend zum Himmel und machte sich zu Fuß von zu Hause auf den Weg in die Bibliothek.
    Es war ein bitterkalter Tag Ende März, und die Chicago Avenue glich einem Fluss aus gefrorenem Matsch. Mamah suchte sich einen Weg zwischen den dampfenden Pferdeäpfeln, den Saum ihres schwarzen Mantels hochgerafft. Drei Straßen weiter westlich, auf der Oak Park Avenue, sprang sie auf den hölzernen Bürgersteig und ging rasch in südliche Richtung, während um sie herum die nassen Schneeflocken immer dichter fielen.
    Als sie die Bibliothek erreichte, glichen ihre Zehen eisigen Stummeln, und ihr Mantel war beinahe weiß. Sie rannte die Treppe hinauf und blieb vor der Tür zum Vortragssaal stehen, um Atem zu schöpfen. Im Saal hörte eine großeAnzahl Frauen aufmerksam zu, wie die Präsidentin des Frauenclubs des 19. Jahrhunderts ihre Einführung verlas. »Gibt es eine Frau unter uns, die nicht – beinahe täglich – mit einer Entscheidung konfrontiert wird, wie sie ihr Heim schmücken soll?« Die Präsidentin blickte über ihre Brille hinweg ins Publikum. »Oder darf ich es wagen, zu sagen, sich selbst?« Noch immer schwer atmend setzte sich Mamah auf einen Platz in der letzten Reihe und schlüpfte aus ihrem Mantel. Überall um sie herum stieg von den nassen Pelzen, die über den Stuhllehnen hingen, schwacher Kampfergeruch auf. »Unser heutiger Gastredner hat es nicht nötig, vorgestellt zu werden…«
    Daraufhin registrierte Mamah ein unterdrücktes Gemurmel, das sich von den hinteren Reihen nach vorne fortpflanzte, als eine Gestalt in wehendem, schwarzem Cape, das wie ein Segel flatterte, durch den Mittelgang eilte. Sie beobachtete, wie er zuerst das Cape auf einen Stuhl neben dem Vortragspult schleuderte, dann seinen breitkrempigen Hut.
    »Moderne Dekoration ist eine Burleske des Schönen, ebenso mitleiderregend wie kostspielig.« Frank Lloyd Wrights Stimme schallte durch den geräumigen Saal. Mamah reckte den Hals und versuchte, an den Hüten, die vor ihr bebten wie Kuchen auf einer Platte, vorbei- und darüber hinwegzusehen. Impulsiv stopfte sie sich ihren Mantel unter das Gesäß, um einen besseren Blick zu haben.
    »Das Maß für die Kultiviertheit eines Menschen liegt in dem, was er schätzt«, sagte er. »Wir sind, was wir schätzen, nicht mehr und nicht
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