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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck
Autoren: Nancy Horan
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Bemerkung keineswegs ungewöhnlich gewesen, doch an diesem Nachmittag, während sie am Esstisch des neuen Hauses saßen, das sie gemeinsam geplant hatten, empfand Mamah diese Übereinstimmung wie eine Bestimmung. Sie war weder abergläubisch noch besonders religiös, doch sie schien so etwas wie den Beweis darzustellen, dass es ihnen bestimmt war, einander zu kennen, dass das Schicksal sie absichtlich zur selben Zeit an beinahe demselben Ort in die Welt geworfen hatte.
    Er betrachtete ihr Abschlussfoto und sagte mit trauriger Stimme: »Ich frage mich, wie mein Leben ausgesehen hätte, wenn ich vor zwanzig Jahren dieser jungen Frau in die Arme gelaufen wäre. Jemanden zu finden, der so…« Er hielt inne. »Ich war noch ein Junge, als ich Catherine heiratete – gerade mal einundzwanzig. Sie war erst achtzehn. Die Ehe hätte eigentlich nie erlaubt werden dürfen. Und jetzt…« Er wandte den Blick ab und seufzte schwer.
    Als er ihr wieder sein Gesicht zuwandte, stand Zärtlichkeit darin. Er nahm ihre Hand. »Du bist die entzückendste Frau, die ich jemals kennengelernt habe«, sagte er, beugte sich vor und küsste sie auf die Wange.
    Sie ließ es zu, dass sein Mund einen Herzschlag lang auf ihrer Wange lag, ehe sie sich entzog.
    Danach kam er an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Um Mamah andere Garagen zu zeigen, die er gebaut hatte –das war die fadenscheinige Ausrede. Weder Lizzie noch Edwin schienen Verdacht zu schöpfen.
    Am ersten Morgen, einem strahlend klaren Tag, fuhr er sie weit in den Norden in die Prärie. Sie stiegen aus dem Wagen und wateten durch das hohe Gras. Frank zupfte die weizenartigen Granen von einem Halm. »Ich war keiner, der Steine klopfte«, sagte er zu ihr.
    »Was warst du dann?«
    »Oh, etwas Ähnliches. Als Junge arbeitete ich im Sommer auf der Farm meines Onkels in Wisconsin. Am Ende des Tages, wenn ich nicht zu erschöpft war – denn er ließ mich hart arbeiten –, ging ich los und erkundete die Hügel dort draußen. Ich zerpflückte die Dinge, um zu sehen, wie sie zusammengesetzt waren – Blumen, Pflanzen wie diese…« »Und hast dich in sie verliebt?«
    Er lächelte. »Ja. Zuerst in die Blütenköpfe natürlich, weil sie so geheimnisvoll sind. Aber dann erkannte ich, wie der Stängel unvermeidlich in Blatt und Blüte übergeht. Es war egal, welche Pflanze ich betrachtete. Der Aufbau war immer folgerichtig, und alle strukturellen Grundgedanken waren vorhanden: Proportion, Maß, ein zugrundeliegender Gedanke. Vergiss nicht, ich war damals nur ein Junge, der etwas auseinanderpflückte.«
    »Wusstest du schon immer, dass du Architekt werden wolltest?«
    »Absolut. Solange ich denken kann. Der Gedanke, ein Haus zu bauen, das einem das Gefühl gibt, im Freien zu leben – das kam später. Aber der Instinkt – das Gefühl dafür – wurde dort in den Hügeln geboren. Deshalb war ich gespannt, als ich zur Universität ging, denn ich hatte all diese Ideen für eine organische Architektur im Kopf, die auf denselben Grundlagen aufbaute, nach denen die Natur ihre Bauprojekte organisiert. Aber niemand wollte auf diese Weise überArchitektur sprechen. Immerzu ging es um palladianische Fenster oder korinthische Säulen. Deshalb kehrte ich der Universität den Rücken.«
    »Und gingst nach Chicago.«
    »Ja. Mit neunzehn ging ich bei Silsbee in die Lehre und wechselte ein Jahr später ins Büro von Sullivan.«
    Ein kräftiger Wind wehte, der die Gräser und Wildblumen gen Osten neigte.
    »Du bist in gute Hände gekommen.«
    »Habe ich dir nicht davon erzählt, als wir an eurem Haus gearbeitet haben?«
    »Doch, aber nicht alles.«
    »Nun, Sullivan war ein ausgezeichneter Lehrer, und ich entwarf nach seinen Vorgaben. Er sprach unablässig davon, amerikanische Gebäude zu bauen. Als ich schließlich von ihm wegging, um mein eigenes Büro zu gründen, war ich wild entschlossen, etwas Neues zu schaffen – Häuser zu bauen, die von der Prärie erzählen statt von der Idee irgendeines französischen Herzogs, wie ein Haus auszusehen hätte.«
    Mamah strich sich ein paar vom Wind verwehte Strähnen vom Mund. »Ging es dir schon immer um Häuser?«
    »Ich konnte mir nie etwas Nobleres vorstellen, als ein schönes Heim zu bauen. Kann es immer noch nicht.«
    Er deutete zum Horizont, wo, so weit das Auge reichte, ein klarer Himmel die Präriegräser begrenzte. »Ganz langsam geriet ich unter den Bann dieser Linie dort draußen. Es war so einfach: ein riesiger Block Blau über einem Block goldener Prärie und
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