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Kein bisschen Liebe

Kein bisschen Liebe

Titel: Kein bisschen Liebe
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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Terrorismus.«
    Meine Mutter war in sehr nervöser Stimmung und ging in der Wohnung auf und ab. Unwirsch gab sie mir einen Kuss und fragte:
    »Ach, Junge, um Gottes willen, wie soll es denn jetzt weitergehen? Warum das alles?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Jeden Tag denken sie sich was Neues aus.«
    »Ganz ruhig, Mama. Komm, gehen wir zuhören. Beruhige dich.«
    Wir traten ans Gartentor. Die Tribüne stand wenige Meter entfernt. Mitten auf der Straße. Es waren nur fünfzehn bis zwanzig Leute da. Die Nachbarn wollten nicht aus den Häusern kommen.
    Ein blutjunges Mädchen sprach sehr laut über Krieg und Terrorismus. Sie wirkte ziemlich erregt, und man konnte kaum verstehen, was sie sagte. Danach sprach ein Typ, gemächlicher als sie. Er trug ein normales Oberhemd, aber die Hose und die Stiefel waren Teil einer Armeeuniform. Er kam direkt zur Sache:
    »Gut, Genossen, unser Land befindet sich in einer schwierigen Lage.«
    Ich hatte diesen Satz im Lauf meines Lebens Hunderte von Malen gehört. Der Typ fuhr fort. Wenigstens sprach er ruhig und ohne Hysterie:
    »In den nächsten Monaten könnte eine Notsituation eintreten, in der unser Land einem Krieg ins Auge sehen muss. Wir sind heute gekommen, um euch über die Evakuierungspläne für diesen Stadtbezirk zu informieren. Aufgepasst: In den ersten beiden Stunden eines möglichen Angriffs dienen als Zufluchtsort für euer Viertel der Keller unter der Bäckerei sowie die Untergeschosse der Neubauten, die derzeit dort um die Ecke entstehen. Ich wiederhole: Dies gilt für die ersten beiden Angriffsstunden. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt? Wenn der Luftalarm beginnt, ist sofort Schutz zu suchen. Wir müssen darauf psychologisch vorbereitet sein, um im entsprechenden Augenblick nicht zu zögern. Ist das klar, Genossen? Also gut. Fahren wir fort, Genossen. Gebt gut acht. Nach Ablauf der ersten beiden Stunden beginnen wir mit der Evakuierung der Kinder von null bis dreizehn, in Begleitung eines Erwachsenen. Personen zwischen dreizehn und fünfundsechzig Jahren verbleiben hier, um ihre Aufgaben für den Zivilschutz, die Truppenversorgung etcetera zu erfüllen.«
    Einer der Zuhörer fragte:
    »Evakuierung wohin?«
    »Die Evakuierung erfolgt nach Cienfuegos. Zu Fuß. Wir verfügen über keine anderen Transportmöglichkeiten. Nur Kinder von null bis dreizehn, eine Begleitperson. Noch Fragen?«
    Die Leute fingen an zu tuscheln. Und zu lachen. Ich vermutete, dass sie aus Nervosität lachten. Ein Typ drehte sich um und ging. Dabei murmelte er: »Die spinnen. Was es nicht alles gibt, Leute!«
    Das Mädchen mit der lauten Stimme trat wieder ans Mikrofon und begann draufloszureden. Sie sagte alles, was ihr so in den Sinn kam. Die Menge fing an sich zu zerstreuen. Meine Mutter sah mich erschrocken an:
    »Ob das wahr ist?«
    »Was?«
    »Dass wir nach Cienfuegos müssen. Hast du das nicht gehört?«
    »Doch, aber mach dir keine Sorgen.«
    »Ich lasse doch mein Haus nicht unbewacht zurück. Lieber Himmel, kaum hat man ein Problem überstanden, kommt schon das nächste!«
    »Ganz ruhig, Mutter.«
    Das Mädchen am Mikrofon krakeelte weiter. Ein paar junge Mulatten aus der Mietskaserne gegenüber hatten schon eine kleine Rumba dazu improvisiert:
     
    Bis nach Cienfuegos zu Fuß Schritt für Schritt bis zum Schluss Bis nach Cienfuegos zu Fuß Prikiti pra, prikiti pra, pra pra.
     
    Wir gingen ins Haus. Wir machten die Türe zu. Meine Mutter verschwand in der Küche. Sie kochte Kaffee. Draußen spielten sie wieder die Hymnen ab. Wir tranken den Kaffee. Ich warf einen Blick nach draußen. Dort wurde schon alles eilig abgebaut und auf einen LKW geladen, und weg waren sie.
    Ich schaltete den Fernseher ein. Noch immer liefen auf beiden Kanälen Bilder von den Twin Towers. Ich schaltete wieder aus. Ich blieb im Wohnzimmer sitzen. Es gab nichts zu tun. Meine Mutter erzählte mir von einem Traum, den sie nachts zuvor geträumt hatte, und wollte in der Bolita-Lotterie auf zwei Zahlen setzen. Die Nachbarin von gegenüber nimmt Wetten an. Das ist illegal.
    »Ich setz mal je einen Peso auf die Zahlen. Magst du auch spielen?«
    »Nein.«
    Ich begleitete sie bis zum Gartentor. Es war dunkel. Nur an einer Ecke brannte eine Glühbirne. Meine Mutter verschwand in einem Korridor, der wie ein Wolfsmaul aussah. Es ist ein enges Mietshaus mit etwa zwanzig winzigen Zimmern und über hundert Bewohnern. Nach einer Weile kam sie wieder heraus. Ein vier- oder fünfjähriger Junge verfolgte sie, in jeder Hand einen
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