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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens
Autoren: Michelle Sagara
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Handfläche auf die Oberfläche des Spiegels, um ihm das Wort abzuschneiden, und zersplitterte sein Abbild. Dann ging sie zu ihrem Schrank und begann sich wirklich zu beeilen.
    Gebadet, geputzt, gestriegelt und in der vollständigen Dienstuniform der Falken – zu der immer noch die einzige intakte Hose gehörte, die sie besaß – hielt Kaylin auf die Fassade der abschreckenden Steinhallen zu, die von den drei Lords der Gesetze regiert wurden: Dem Lord der Wölfe, dem Lord der Schwerter und dem Lord der Falken. Wenigstens wurden sie so in den offiziellen Schriften und in höflicher Gesellschaft genannt, mit der Kaylin erstaunlich wenig zu tun hatte.
    Die Schwerter waren die Friedenshüter der Stadt, etwas, was Kaylin überhaupt nicht lag. Die Wölfe waren ihre Jäger und oft auch ihre Mörder. Und die Falken? Die Augen der Stadt. Und ihre Ohren. Sie waren diejenigen, die Verbrechen tatsächlich
aufklärten
.
    Aber so musste sie denken; Kaylin war ein Falke, seit sie sich mit der guten Seite des Gesetzes eingelassen hatte, und sie sprach nicht viel über die Jahre davor.
    Auf Erlass des Kaisers von Karaazon hin waren die Gesetzeshallen das einzige Gebäude, dem es erlaubt war, so hoch zu sein wie der Kaiserpalast selbst. Auf den drei Türmen, die in einem Dreieck um einen großen Bereich des wertvollen Grundstücks standen, wehten die Banner der Gesetzeslords: der Falke, der Wolf und das Schwert. Von ihrem Blickwinkel aus konnte man die Flaggen kaum sehen, sie stand zu nah. Aber für den Rest der Stadt? Standen sie nie still.
    Genauso wenig, dachte sie, wie die Menschen, die ihnen dienten. Sie war so verdammt müde.
    An den Eingangstoren standen immer Wachen, und als sie ihre Speere senkten, um ihr den Weg zu versperren, erkannte sie Tanner und Clint. Die Falken waren diesen Monat an der Reihe, den Wachdienst zu übernehmen, eine Ehre, die sie sich abwechselnd mit den Schwertern teilten. Die Wölfe, diese faulen Bastarde, hielt man nicht für fähig, offizielle Posten zu bekleiden. Auch von den Ritualen waren sie ausgenommen.
    Sie hasste die Rituale.
    Clint und Tanner sahen das kaum anders.
    “Kaylin, wo zum Teufel bist du gewesen?”, fragte Tanner. Dieser Refrain erklang in ihrem Alltag viel zu oft.
    “Ich habe mich zurechtgemacht, wenn du es genau wissen willst.”
    Tanner war mit fast zwei Metern sogar für einen Menschen groß. Sein Helm, Teil der Dienstuniform, glänzte bronzen in der Nachmittagssonne. Er reichte wie eine Vogelmaske von seinem bedeckten Kopf bis hinab zu seiner Nase. Auf beiden Seiten des Metalls leuchteten seine Augen tiefbraun.
    Clint schüttelte den Kopf, bis das Licht der Sonne auf seinem Helm dabei ein Nachbild vor ihren Augen zeichnete. Aber er lächelte. Er war etwa zehn Zentimeter kleiner als Tanner, und seine Haut leuchtete in der typischen Ebenholzfarbe des Südens. Sie liebte den Klang seiner Stimme, und das wusste er genau.
    Es war nicht das Einzige, das sie an ihm liebte.
    “Du musst die Schwarzarbeit endlich sein lassen”, sagte er zu ihr.
    “Wenn die Bezahlung hier nicht mehr stinkt.”
    Er lachte laut auf, und seine Hellebarde klapperte, als er begann, sie anzuheben. “Du hast wohl wirklich nicht viel Schlaf bekommen. Eisenbeißer hat Ohren wie ein Barrani – der nagelt sich dein Fell als Zielscheibe an die Wand.”
    Sie rollte mit den Augen. “Darf ich jetzt gehen?”
    “Ist ja dein Untergang”, sagte er, der Klang seiner Stimme immer noch versüßt von unterdrücktem Lachen. Aber sein Gesicht wurde einen Augenblick lang ernst, als er sich vorbeugte und seine Stimme senkte, bis sie wie dunkler Samt klang. “Sesti hat es mir erzählt.”
    “Sesti hat dir was erzählt?”
    “Was du in den letzten zwei Tagen gemacht hast.”
    “Nächstes Mal, wenn du sie siehst, sagst du ihr, sie soll sich verpissen.”
    Er lachte wieder. Sie könnte den ganzen Tag damit verschwenden, ihn zum Lachen zu bringen, nur um den tiefen, vollen Klang seiner Stimme zu hören. Aber wenn sie das heute tat? Würde es ihr letzter Tag auf Erden sein. Sie lächelte. “Das wird nicht vor seinem Namenstag geschehen.” Die Männer der Aerianer waren in den Geburtshöhlen verboten – es sei denn, darin befanden sich Tote oder solche, die im Sterben lagen. Sogar dann konnten sie nur kommen und die Herausgabe ihrer Frauen verlangen, nicht mehr. Kaylin hatte das nie verstanden.
    “Wann hast du Dienstschluss?”, fragte sie ihn.
    “In ungefähr zwei Stunden.”
    “Bist du schon zu Hause
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