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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens
Autoren: Michelle Sagara
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wenig außergewöhnlich für einen Menschen ohne Ausbildung. Sie konnte Dinge tun, die andere menschliche Falken nicht konnten. Verdammt, die andere Menschen nicht konnten. Die Falken wussten natürlich davon.
    Und der Falkenlord? Besser als alle anderen, und er hatte seine Gründe, ihr zu misstrauen, wenn es um das Einsetzen ihrer Gabe ging. Aber was der Falkenlord nicht sah, konnte ihm auch nicht wehtun. Solange er auch nichts davon zu hören bekam.
    “Na gut. Sesti ist dir etwas schuldig. Also wird Clint bezahlen.” Marcus würde dem Falkenlord nichts verraten. Nicht wegen so einer Kleinigkeit. Leontiner verstanden das Konzept Schuld sehr gut, genau wie Pflichtgefühl und Familienehre. Nach einem Augenblick traten ihr Tränen in die Augen, weil sie genau wie er nicht blinzelte. “Wie war die Geburt?”
    “Dem Baby geht es gut. Die Mutter ist erschöpft.”
    “War es knapp?”
    Sie schüttelte sich. Sie war ein oder zwei Mal zu spät gekommen, als die Hebammen sie gerufen hatten – aber das war in ihren Anfangsjahren gewesen, und als sie gesehen hatte, welcher Preis dafür gezahlt werden musste, war sie
nie wieder
zu spät gekommen. Bei den Falken hätten sie von einem Wunder gesprochen, wenn sie sie davon hätte überzeugen können. “Knapp genug. Aber sie kommen beide durch.”
    Er zuckte mit den Schultern und lehnte sich gegen den Schreibtisch. Das Holz stöhnte unter seinem Gewicht tatsächlich auf. “Mehr, bin ich mir sicher, als man von dir sagen kann. Der Falkenlord erwartet dich. In seinem Turm.”
    Konnte es
noch
schlimmer werden?
    Sie stieg die Treppe unbegleitet hinauf, auch wenn an den geschlossenen Türen auf jedem Stockwerk weitere Wachen standen. Sie nickten ihr zu, und ein paar, die sie gut genug kannten, schüttelten entweder den Kopf oder lächelten. Es waren fast alles Menschen oder Aerianer. Zwar wurde auch den Barrani Vertrauen entgegengebracht, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. An einem guten Tag würde sie sich vielleicht die Zeit nehmen, einen von ihnen zu fragen, was der Falkenlord wollte.
    Es war aber kein guter Tag.
    Sie gelangte an den Absatz der letzten Treppe, blieb stehen, um nach Atem zu ringen und ihre Beine auszuschütteln, und richtete sich dann auf und rückte ihren lockeren Gürtel zurecht. Er war schon wieder zwei Löcher zu groß geworden. Und sie hatte nicht die Zeit gehabt, weitere Löcher zu stechen.
    Ihre Haare standen ihr wirr vom Kopf ab, und sie wusste, dass ihre Wangen ein wenig zu rot waren, um noch würdevoll auszusehen – aber sie musste sich oft zwischen Würde und einer weiteren Stunde Leben entscheiden. Sie blieb an der unbewachten Tür stehen und legte ihre Handfläche auf das goldene Symbol des Falken, das in ihre untere Mitte eingelassen war. Es war eine
hohe
Tür.
    Magie leckte an ihrer Hand hinauf wie eine schmerzhafte, eiskalte Zunge. Sie hasste das Gefühl und knirschte mit den Zähnen, als es durch ihre Haut drang. Sie hatte lernen müssen, vieles mit Gelassenheit zu akzeptieren, aber dieses fiel ihr am schwersten: Ihre Handfläche liegen zu lassen, während die Magie in ihr rumorte, ihr Inneres durchwühlte und nach Antworten suchte.
    Anscheinend war sie zufrieden, denn die Tür begann sich langsam zu öffnen.
    Sie führte in einen runden Raum mit gewölbter Decke: die Turmspitze, der Teil, der nur den engsten Vertrauten des Falkenlords zugänglich war. Nach dem, was sie über den Falkenlord wusste, war es eine große Überraschung, dass es von ihnen überhaupt einen gab.
    Sie verbeugte sich, noch ehe die Tür ganz geöffnet war. Weil sie die Uniform der Falken trug, war eine Verbeugung Pflicht. Hätte sie irgendeine andere Uniform angehabt, wäre sie wahrscheinlich auf die Knie gefallen und hätte ein wenig unterwürfig mit den Füßen gescharrt.
    “Kaylin Neya”, sagte der Falkenlord kalt.
    Sie richtete sich sofort auf.
    Sah ihm in die Augen. Sie waren wie grauer Stein, wie die Wände des runden Turmzimmers, in ihnen schien kein Leben zu sein, und sie gaben nicht mehr preis als ihre Oberfläche. Sein Gesicht, blass wie Elfenbein, unterstrich ihre ungewöhnliche Farbe, und sein Haar, ebenfalls grau, reichte den ganzen Rücken hinab. Er war kein Barrani, aber er hätte es gut sein können. Er war groß, stolz, und sehr kalt.
    Aber seine nach hinten geschobene Haube war von Flügeln gekrönt, weißen Flügeln. Die Schwungfedern hatte er angelegt. Falkenlord. Diesen Posten hatte er nicht deswegen inne, weil er Aerianer
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