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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens
Autoren: Michelle Sagara
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seiner Jungen.
    Severn setzte sich auf einen leeren Schreibtisch, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste erwartungsvoll. Kaylin hätte sich fast dazugesellt. Fast.
    Aber sie wollte nicht dort sein, wo er war, das hatte sie vor langer Zeit beschlossen. Und hier würde sie nicht darüber nachdenken, denn wenn Marcus wie durch ein Wunder doch nicht wild wurde, dann wurde sie es vielleicht, und sie wollte nicht schuld daran sein, wenn es im Büro Tote gab. Nicht, nachdem der Falkenlord ihr klargemacht hatte, welcher Preis für so einen Tod zu bezahlen war.
    “Tiamaris, sagt Ihr?” Manchmal konnte man Marcus’ Knurren fast mit einem Schnurren verwechseln. Kaylin versuchte, nicht zusammenzuzucken, als sie merkte, dass Eisenbeißer tatsächlich Barrani sprach. Es war die Amtssprache aller Lords der Gesetze, und weil er gegen fast alle amtlichen Angelegenheiten allergisch war, benutzte er sie so gut wie nie.
    Tiamaris hob eine dunkle Augenbraue. Sie waren fast gleich groß. Marcus kam immer näher. Tiamaris tat weiter so, als wäre er eine Statue. Der Abstand zwischen ihnen verringerte sich zusehends.
    Männer.
“Eigentlich, Marcus, habe
ich
es gesagt.” Kaylin hob den Kristall, als wäre er ein kaiserlicher Erlass.
    Zu ihrer Überraschung drehte sich Marcus tatsächlich um und sah sie an. Aber auch wenn sein Blick auf den Kristall in ihrer Hand gerichtet war, galten seine Worte Tiamaris. “Das ist
mein
Büro”, sagte er ruhig, jedes Wort durchzogen mit dem vollen Knurren eines Leontiners im besten Alter. “Das sind meine Falken. Wenn Ihr … beschlossen habt, hier zu arbeiten, akzeptiert Ihr das.”
    “Ich habe mich entschieden, dem Lord der Falken zu Diensten zu sein”, war die neutrale Antwort. Auch die in Barrani. Kaylin fiel auf, dass Tiamaris noch keine andere Sprache gesprochen hatte, seit er in den Turm gekommen war.
    Kaylin versuchte es noch einmal. “Wir brauchen Ausrüstung”, fing sie an. “Und der Falkenlord –”
    “Er hat es mir gesagt.” Er wendete sich wieder an Tiamaris. “Wir sind noch nicht fertig”, sagte er ruhig.
    “Nein”, stimmte Tiamaris in einem freundlichen Tonfall zu, der das Gegenteil bedeutete. “Wir haben gerade erst angefangen. Hauptmann?”
    “Nehmt das Westzimmer”, antwortete er und kniff die Augen langsam zusammen. Kaylin wusste, dass Tiamaris so gut wie tot war. Oder er wäre es, wenn er kein Drache gewesen wäre. “Kaylin, zeig ihnen den Weg.”
    Sie atmete tief durch. Stellte sich vor, ihnen allen zu sagen, dass sie nicht ihr Babysitter war. Überlegte es sich eine Sekunde, ehe sie den Mund öffnete, um die Wörter hinauszulassen, anders. “Klar.” Sie salutierte schlampig, mit der Handfläche nach außen, aber nicht gestreckt. Außerdem, merkte sie, als Eisenbeißer sie anstarrte, mit der
falschen
Hand.
    “Ihr zwei, hinterher.”
    “Alles, was du sagst”, sagte Severn zu ihr und glitt vom Schreibtisch. “Führe uns, Kaylin.”
    Das Westzimmer war einer von vier gleichen Räumen, und alle waren genauso poetisch getauft. Die Leontiner hatten es nicht so mit fantasievollen Namen. Soweit Kaylin es beurteilen konnte, übersetzte sich das leontinische Wort für “Nahrung” als “Leiche.” In kulinarischen Gesprächen musste man sich anpassen.
    Als Marcus seinen Posten übernommen hatte, waren die sicheren Räume – wie alle Räume in den verwirrenden Hallen der Gesetze, die der Falkenlord regierte – nach aufrechten Bürgern benannt gewesen, nach Menschen mit einer Menge Geld oder nach entfernten Verwandten des gegenwärtigen Kaisers. Marcus hatte in jede Ecke des Falkenbereichs gepinkelt, die er finden konnte, und nachdem er
damit
fertig gewesen war, hatte er noch einige Dinge geradegerückt. Angefangen bei den Namen.
    Wie dem auch sei, “West” war immer noch besser als irgendein Name mit sieben Silben, den sie ohne Wörterbuch nicht aussprechen konnte. Wenn er jetzt noch etwas gegen die blöden Schutzzauber an den Türen unternehmen würde …
    Ehe sie die Tür berührte, wendete sie sich an Tiamaris. “Bring ihn nicht gegen dich auf”, sagte sie ruhig.
    “Habe ich das?”
    Sie wusste nicht genug über Drachen, um zu erkennen, ob er es mit Absicht getan hatte. Aber sie wusste genug über Männer. “Marcus ist über einen ganzen Haufen Leichen an die Spitze gestiegen”, antwortete sie. “Und wir brauchen ihn, wo er ist. Stoß ihn nicht wieder runter.”
    Zum ersten Mal an diesem Tag lächelte Tiamaris.
    Kaylin beschloss, dass er ihr
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