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Kay Susan

Titel: Kay Susan
Autoren: Das Phantom
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in meinem Kopf sein und mich verrückt machen vor Kummer.
    Mit müder Resignation ging ich zurück zum Bett und bedeckte das gräßliche kleine Gesicht mit einem Taschentuch. Wenn ich es nicht mehr sah, konnte ich meinen Widerwillen vielleicht soweit beherrschen, daß es mir nichts ausmachte, ihm die Flasche zu geben.
    Ich schleppte mich nach unten, fand in der Küche etwas Milch und wärmte sie.
Später, als er in der Sommersonne schlief, setzte ich mich in einen Sessel und nähte fieberhaft das erste Kleidungsstück, das er brauchte.
Eine Maske . . .
3. Kapitel
    Wenn ich zurückschaue, weiß ich nicht, wie ich es ohne Marie und Vater Mansart geschafft hätte. Ich lernte schnell, wie flüchtig und vergänglich Beliebtheit ist.
    Meine Stellung im Dorf war über Nacht dahin. Niemand kam in die Nähe meines Hauses. Es war, als hätten sie ein blutrotes Kreuz an meine Tür gemalt, wie es in alter Zeit üblich war, um Passanten und Besucher vor der Pest zu warnen. Selbst in diesem aufgeklärten neuen Jahrhundert, wo die Wissenschaft mit jedem Jahr neue Entdeckungen macht, werden die meisten kleinen, ländlichen Gemeinden wie Boscherville noch immer von abergläubigen Ängsten regiert, und Geschichten vom Hörensagen nehmen leicht maßlosen Umfang an, aber in diesem Falle hätten sich Phantasie und Bosheit schwergetan, die gespenstische Wahrheit noch auszuschmücken. Als ich mich schließlich ins Dorf wagte, wurde ich gemieden wie eine Aussätzige. Die Leute kehrten um, wenn sie mich näherkommen sahen, und wenn ich vorüberging, war ich mir des Flüsterns und grausamen Klatsches bewußt, der mir auf den Fersen folgte. Vater Mansart riet mir, das Kind nicht auf die Straße mitzunehmen; und obwohl er es nicht sagte, wußte ich, daß er um unsere Sicherheit fürchtete. Ich hatte allerdings gar nicht vor, ihn der Öffentlichkeit zu zeigen.
    Marie kam täglich, trotz des Unmuts ihrer Eltern und der Sticheleien des ganzen Dorfes. Sie überwand um meinetwillen ihr eigenes Entsetzen und ihre Ängstlichkeit und lehrte mich die wahre Bedeutung von Freundschaft. Was Gesellschaft und Trost betraf, war ich nun ganz auf sie angewiesen.
    Die teure Wiege stand verloren in einem Zimmer im Dachgeschoß, wohin ich sie rasch verbannt hatte; meist herrschte darin gnädige Stille. Er weinte nie, sofern er nicht hungrig war, und das war er, Gott sei Dank, nicht sehr oft. Es war, als halte ihn ein tief verwurzelter Selbsterhaltungstrieb davon ab, auf sich aufmerksam zu machen.
    Ich nehme an, mein Widerwille, ihn zu berühren, muß sich ihm von den frühesten Tagen an mitgeteilt haben. Tatsächlich machte er mir in diesen ersten Monaten so wenig Schwierigkeiten, daß ich ihn oft stundenlang aus meinem Gedächtnis ausschließen konnte. Ich ging nur dann zu ihm, wenn es sein mußte; niemals lächelte ich ihn an oder spielte mit ihm. Wozu auch? Ich war überzeugt, er werde zu einem Idioten heranwachsen.
    Es war Marie, die eine Schnur mit kleinen Glocken über seine Wiege spannte – aus Mitleid. Eines Morgens schleppte sie mich gegen meinen Willen nach oben und hieß mich vor der offenen Tür stehenbleiben.
»Hör zu!« sagte sie.
    Ich hörte das leise Klingen der Glocken und die einsamen Laute eines alleingelassenen, vernachlässigten Babys, das sich mit sich selbst unterhält; ich hatte sie schon oft zuvor gehört und wandte mich in schuldbewußter Hast ab.
    »Ich backe gerade«, klagte ich verlegen, »der Kuchen brennt mir an.«
»Laß ihn anbrennen«, sagte sie ziemlich kurz angebunden. »Ich möchte, daß du etwas hörst. Paß genau auf!«
Überrascht über ihren Ton tat ich, was sie verlangte, und während ich lauschte, merkte ich, daß die Glocken nicht wahllos durcheinander erklangen, sondern in einer bestimmten Reihenfolge und Wiederholung, die eine kurze Melodie ergab.
Es mußte ein Zufall sein, ein merkwürdiges Zusammentreffen. Doch noch während ich mir das sagte, veränderte sich die Melodie; es war eine deutliche Variation des ersten Themas.
»Das ist kein gewöhnliches Kind«, sagte Marie ruhig. »Was glaubst du, wie lange du noch so tun kannst, als existiere er überhaupt nicht?«
Ich wandte mich um, floh nach unten und schlug die Küchentür zu vor dem Geräusch der Glocken, das mich zu verfolgen schien. Mein Kind war ein gräßliches Ungeheuer, und irgendwie erfüllte mich die Vorstellung, es könne noch auf andere Art außergewöhnlich sein, mit Entsetzen. Wenn Marie recht hatte, dann würde meine Lage noch schlimmer werden, das
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