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Kay Susan

Titel: Kay Susan
Autoren: Das Phantom
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lieben, wie Gott ihn liebt.«
Er nahm seine Laterne und seinen Umhang, wandte sich ab, und gleich darauf hörte ich die Treppe unter seinen schweren Schritten knarren und die Haustür hinter ihm zufallen.
Ich war allein mit dem Monster, das Charles und ich aus Liebe gezeugt hatten.
Noch nie in meinem Leben hatte ich solche Furcht empfunden, Noch nie so abgrundtiefes Elend wie in diesem ersten Augenblick, als ich meinen Sohn in den Armen hielt. Ich wußte, daß dieses Geschöpf – dieses Ding! – vollkommen von mir abhängig war. Ließe ich es verhungern oder erfrieren, so würde meine Seele in alle Ewigkeit brennen. Ich war praktizierende Katholikin und glaubte nur zu sehr an die Existenz der Höllenflammen.
Ängstlich, mit zitternder Hand, teilte ich das Tuch, das das Gesicht des Kindes bedeckte. Ich hatte schon früher Mißbildungen gesehen – wer hätte das nicht? –, aber noch nie von dieser Art. Die ganze Schädeldecke lag offen unter einer dünnen, durchsichtigen Membrane, die grotesk durchsetzt war von kleinen, pulsierenden blauen Adern. Eingesunkene, ungleiche Augen, grob mißgestaltete Lippen und ein schreckliches, gähnendes Loch, wo die Nase hätte sein sollen.
Es sah aus wie etwas, das schon lange tot ist. Ich wollte nichts weiter, als es begraben und fortlaufen.
Bei allem Ekel und Entsetzen bildete ich mir ein, daß es mich beobachtete. Seine ungleichen Augen, intensiv und verwundert in meine starrend, wirkten merkwürdig empfindsam und schienen mich mitleidig zu betrachten, fast als kenne und verstehe es meinen Schrecken. Noch nie hatte ich in den Augen eines neugeborenen Kindes ein so starkes Bewußtsein gesehen. Ich ertappte mich dabei, daß ich sein Starren erwiderte, düster fasziniert wie das von der Klapperschlange hypnotisierte Opfer.
Und dann schrie er!
Mir fehlen die Worte, um den ersten Laut seiner Stimme und die ungewöhnliche Reaktion zu beschreiben, die sie in mir hervorrief. Stets hatte ich das Weinen des Neugeborenen als völlig geschlechtslos empfunden . . . durchdringend, aufreizend, merkwürdig wenig anziehend. Aber diese Stimme war eine seltsame Musik, die mir Tränen in die Augen trieb, meinen Körper erregte, so daß meine Brüste schmerzten von dem unnatürlichen und doch überwältigenden Drang, dieses Wesen an mich zu drücken. Ich hatte nicht die Kraft, seinem instinktiven Flehen um Überleben zu widerstehen.
Doch in dem Augenblick, in dem sein Fleisch meines berührte und Stille eintrat, war der Zauber gebrochen. Wieder ergriffen mich Panik und Widerwille.
Ich riß den Sohn von meiner Brust, als sei er ein ekelerregendes Insekt, das mein Blut saugte; ich schleuderte ihn von mir, ohne darauf zu achten, wohin er fiel, und floh in die entfernteste Ecke des Zimmers. Dort kauerte ich wie ein gejagtes Tier, das Kinn fest an die Knie gepreßt, den Kopf in den Armen verborgen.
Ich wollte sterben.
Ich wollte, daß wir beide sterben.
Wenn er in diesem Augenblick noch einmal geschrien hätte, hätte ich ihn getötet, das weiß ich – zuerst ihn und dann mich.
Aber er blieb stumm.
Vielleicht war er schon tot.
Tiefer und tiefer sank ich in mir zusammen, wiegte mich vor und zurück wie ein armes, bewußtloses Geschöpf in einer Irrenanstalt, verkroch mich vor einer Bürde, die zu tragen mir zu schwer, mir nicht zumutbar erschien.
Das Leben war so schön gewesen bis zum letzten Sommer; zu leicht, zu voll von Freuden. Nichts in dieser kurzen, köstlichen Zeitspanne hatte mich auf die Tragödien vorbereitet, die seit meiner Heirat mit Charles unablässig über mich hereingebrochen waren.
Nichts hatte mich auf Erik vorbereitet!
2. Kapitel
    Als einziges Kind ältlicher, wohlhabender Eltern war ich wie eine kleine Prinzessin aufgewachsen, Mittelpunkt jeder Gesellschaft, auf der ich erschien. Mein Vater war Architekt in Rouen, ein erfolgreicher, aber recht verschrobener Mann, der Musik liebte und über die Begabung, die ich für diese Kunst zeigte, entzückt war. Von Kindheit an wurde ich regelmäßig bei Soireen und in Salons vorgeführt, um meine Stimme und meine bescheidenen Fertigkeiten auf Violine und Klavier zu zeigen. Zwar schickte Mama mich zum Wohl meiner Seele in die Klosterschule der Ursulinerinnen, doch Papas Bestrebungen richteten sich auf weltliche Ziele. Zum Entsetzen der Nonnen, denen die Ausbildung einer Mädchenstimme als sündhafte Eitelkeit und Ziererei galt, erhielt ich Gesangstunden. Jede Woche eilte ich zu dem Professor, der angewiesen worden war, mich auf die Pariser
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