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Katzenhöhle

Katzenhöhle

Titel: Katzenhöhle
Autoren: Hildegunde Artmeier
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Minute um Minute, ohne sich zu rühren. Jeder genoss die Gegenwart des anderen, die jeder so lange vermisst hatte.
    »Wann fährst du wieder nach London?«, fragte sie schließlich.
    »Übermorgen.« Er küsste sie auf die Stirn. »Ich wollte dich etwas fragen.«
    Sie zog ihn zu ihrem Bett. Sie war froh, dass sie ein Einzelzimmer im Krankenhaus hatte. Jetzt hätte sie keine neugierigen Blicke ertragen.
    »Ich höre.«
    »Warum kommst du nicht mit nach London?«
    »Was soll ich dort?«
    »Das, was du schon immer wolltest: tanzen.«
    Sie lächelte traurig. »Nur das?«
    »Nicht nur – aber ich hätte es nicht gewagt, dich auch danach zu fragen.«
    Zuerst sagte sie nichts. Sie spielte nur mit seinen Fingern, die sich wie selbstverständlich um die ihren gelegt hatten. Es waren zarte Berührungen, ein behutsames Erforschen fremden Terrains, ein Entdecken, das neugierig machte und doch Grenzen erkennen ließ.
    »Woher weißt du, dass mich das locken könnte?«
    »Ich habe dich auf der Dachterrasse deines Hotels beobachtet.«
    »Auch im Tanzstudio?«
    Er schüttelte den Kopf. Dann musste es Julian gewesen sein, dessen Gegenwart sie dort gespürt hatte, bevor er ihr in der Tiefgarage aufgelauert hatte.
    »Danach wollte ich unbedingt mit dir darüber reden«, fuhr Cedric fort. »Du hast die besten Anlagen und ein großes Talent. Das Einzige, was dir fehlt, ist Übung. Und ein hervorragender Lehrer. Wenn ich dich ausbilde, kannst du eine wirklich gute Tänzerin werden. Du bist noch jung und tanzt auch schon lange genug. Es wird hart werden, aber es wird sich lohnen – für jeden von uns.«
    »Ich habe bereits darüber nachgedacht.«
    Er wartete schweigend.
    »Ich will dir von einem Traum erzählen«, sagte sie nur, als sei das Erklärung genug.
    »Ich hör dir zu.«
    »Seit ich ein Kind war, hab ihn immer wieder geträumt. Mira und ich laufen über eine Wiese zu unseren Bäumen, die Sonne scheint, wir sind glücklich.«
    Sie verstummte und liebkoste von neuem seine Finger. Jetzt tat sie es mit noch mehr Sehnsucht, doch etwas hielt sie zurück, sich ganz in diesem Spiel zu verlieren.
    »In der Nacht, als ich fast gestorben bin, hatte ich den gleichen Traum. Nur der Schluss war anders.«
    »Wie war er?«
    »Diesmal fanden wir beide einen Baum im Licht.«
    Sie sah ihm an, dass er nicht verstand, wovon sie sprach. Doch sie wollte nichts erläutern, drückte nur seine Hand. Offenbar hatte sie zu fest gedrückt, denn er zuckte zusammen. Vorsichtig löste er ihre Finger, die sich sogar verkrampft hatten.
    »Ich kann mich nicht länger verstecken, wo und hinter wem auch immer. Ich muss raus aus meiner Höhle. Jetzt, wo das Leben mich endlich eingeholt hat. Diese Stille war so verlockend, dieser Friede in der letzten Nacht. Jetzt kann ich Mira verstehen, sie hat immer danach gesucht. Aber das, was ich brauche, ist etwas anderes. Ich muss hinaus in die Welt – so wie Mira.«
    Dieses Mal begriff er, was sie sagen wollte. Er hatte lange genug mit Mira zusammengelebt, um ihren inneren Konflikt erkannt zu haben.
    »Heißt das, dass du mit mir kommst?«, fragte er erwartungsvoll.
    »Das heißt, dass ich meinen Weg alleine gehen muss. Ich werde tanzen, ganz egal wo, auch im Rampenlicht, wenn’s sein muss. Aber einen Trainer muss ich mir selber suchen – und zwar einen anderen als dich.«
    Es tat ihr weh, diesen Hoffnungsschimmer in seinen Augen zu zerstören. Er zerstob in winzig kleine Funken, die wie Glühwürmchen davon schwebten. Sie wollte wenigstens eines zu ihm zurückblasen oder zumindest in einem fernen Glimmer für ihn tanzen lassen. Doch sie wusste nicht, ob es ihr gelingen würde.
    »Du weißt, dass es nicht gut gehen würde, Cedric. Wir hätten die gleichen Probleme wie du und Mira – du für dich und ich für mich. Ich muss es auf meine Art schaffen, nicht auf deine.«
    Sie küsste ihn. Er hielt sie fest, auch als sie schon lange damit aufgehört hatte. Sie verstand nicht, warum sie auf einmal so gefasst sein konnte. Es brodelte nicht weniger in ihr als vor ein paar Tagen. Wenn er durch diese Tür dort verschwunden wäre, würde sie wieder die bittersten Tränen weinen. Sie dachte an ihren Traum – hatte er das bewirkt? Sie hatte an der Schwelle des Todes gestanden und hinübergeblickt in jenes Reich, in dem Mira schon zu Hause war. Vielleicht hatte sie sogar Mira selbst erspäht. So war etwas verbunden worden, von dem Lena nie geglaubt hatte, das es eins werden könnte. Jede hatte das gefunden, was ihr gefehlt und sie
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