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Katzendaemmerung

Katzendaemmerung

Titel: Katzendaemmerung
Autoren: Arthur Gordon Wolf
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musste ein Mensch grauenvoll sterben. Wie kannst du da von ›Unschuld‹ und ›Versehen‹ sprechen, wo doch jenes andere Wesen jederzeit wieder aus dir herausbrechen kann?!«
    »Nie mehr«, flüsterte der weinende Engel. Behutsam ließ er Joys Leichnam zur Seite gleiten und umschlang dann seine Brust mit beiden Armen. Ein Bild der Hilflosigkeit. »Es wird nie mehr geschehen, Thomas. Glaube mir; ich habe wieder die Kräfte gesammelt, um meine dunkle Seite gefangen zu halten. Für immer! Du musst mir einfach vertrauen. Sachmet wird nie wieder ohne meinen Willen Unheil anrichten!«
    Ihre Beteuerungen stießen bei mir zuerst noch auf eine kaum überwindbare Skepsis. Und was würde geschehen, wenn du einmal wirklich Sachmets Hilfe wolltest?, schoss es mir durch den Kopf. Angesichts ihres mitleiderregenden Anblicks zerstoben diese und ähnliche Gedanken jedoch wieder so schnell, wie sie gekommen waren.
     
    Die Erinnerung an diese Szene zwingt mich dazu, den Füller für einen Moment zur Seite zu legen. Ich überfliege Teile meines Textes und stelle fest, dass ein flüssiges Lesen kaum möglich ist. Überdeutlich habe ich mir jeden Satz abringen müssen. Vieles erscheint umständlich geschildert, manches ist – wie ich finde – zu ausführlich beschrieben. Ich werde aber nichts von alledem streichen, nichts glätten . Meine Erinnerungen sind schließlich auch nicht glatt ; warum sie also beschönigen? Ich habe lediglich das Unmögliche versucht, ein einschneidendes Erlebnis zu schildern, bei dem so gegensätzliche Gefühle wie Liebe und Hass, Ekel und Bewunderung, Verachtung und Anbetung ganz dicht beieinanderlagen. Wie sonst kann ich – kann irgendjemand – verstehen, was danach geschah.
    Die graublauen Wolkentürme nehmen nun bereits die Hälfte des Horizonts ein. Für einen kurzen Augenblick sah es so aus, als würde das Unwetter Catalina weit entfernt passieren; die Brandung hatte sich zu einem leisen Säuseln abgeschwächt, und der Wind war beinahe fast völlig eingeschlafen. Diese trügerische Stille konnte mich jedoch nicht täuschen. Die Götter der Winde und Blitze hielten nur ihren Atem an. Sie sammelten lediglich Kräfte, um die Elemente danach mit umso größerer Wucht auf die Erde schleudern zu können. Nur ein Narr konnte eine kurze Gefechtspause für das Ende des Krieges halten.
    Mittlerweile hat die Brandung wieder ihre alte Stärke erreicht; in meinen Ohren hat sich ihr Rauschen bereits in ein dunkles Grollen verwandelt. Und auch der Wind hat deutlich aufgefrischt. Wie ein tollwütiger Hund zerrt er an den Blättern der Sträucher. Der Sturm kommt; schon die erste dunkle Wolke hatte ihn unfehlbar angekündigt. Warum nur, so frage ich mich, sehe ich heute die kleinsten Anzeichen, und warum war ich damals nur so blind?
    »Komm’ nur«, sage ich laut. »Los! Ich brauche dich.« Für meine weitere Geschichte spielt ein Sturm genau die richtige Begleitmusik.
    Während sich der morgendliche Himmel immer weiter verfinstert, steigen meine Gedanken in noch dunklere Gefilde ab. Hinab zu einer weinenden Göttin.
     
    Letztendlich waren es nicht Mias geflüsterte Worte, die meinen Zorn und mein Grauen besiegten, es war ihre mystische Erscheinung. Kein strahlender Nimbus oder Korona umgaben ihren Körper, und doch sah ich in ihr eine Heilige; eine Heilige, die ihren Sünden abgeschworen hatte. Mia wirkte auf mich wie eine Maria Magdalena, deren Besessenheit endgültig geheilt war.
    »Komm, Thomas, halte mich«, hörte ich ihre leise Stimme. Sie ließ ihren Kopf dabei demütig gesenkt. »Halte mich ganz fest.«
    Nur meiner vollkommen verwirrten Psyche ist es zuzuschreiben, dass ich tatsächlich ihrem Wunsch nachkam. Eine geraume Zeit blieb ich einfach nur starr vor ihr stehen, dann allerdings bestieg ich das Bett und schob mich auf allen Vieren langsam zum Kopfende hinauf. Inmitten einer unaussprechlichen Orgie aus zerrissenem Fleisch und Blut, gebettet auf rot durchtränkten Laken, umarmten wir uns wie ein unschuldiges Liebespaar. Meine Sinneseindrücke verkehrten sich auf groteske Weise in ihr Gegenteil. Mias feucht-klebrige Haut fühlte sich für mich samtig weich an. Der durchdringende Blutgestank verwandelte sich zu einem exquisiten Parfum, und unser Lager wurde zu einer tauglitzernden Wiese im morgendlichen Sonnenschein.
    Erst als wir uns wieder voneinander lösten, kehrten wir wieder in Sachmets bluttriefende Höhle zurück. Überrascht stellte ich allerdings fest, dass ich meine Abscheu und den Schrecken
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