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Katzendaemmerung

Katzendaemmerung

Titel: Katzendaemmerung
Autoren: Arthur Gordon Wolf
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Mia.«
    Diese Worte klangen so anders, so rein und unschuldig wie frisch gefallener Schnee. Obwohl ich mich heftig dagegen wehrte, konnte ich den Eindruck nicht leugnen, nun tatsächlich mit einer ganz anderen Mia zu sprechen. Dies waren nicht die Äußerungen eines hämisch grinsenden Dämons. Nein, aus ihr sprachen Kummer, Unsicherheit und Sehnsucht. Zutiefst menschliche Regungen. Mein Bild von der mordgierigen Bestie geriet unweigerlich ins Wanken.
    Sie hat recht , dachte ich, während ich tief die Luft des Korridors einatmete. Mia sagt die Wahrheit. Auf irgendeine abstruse Weise ist sie tatsächlich unschuldig. Oder aber … Mein Rückgrat straffte sich wie ein aufschnappendes Messer. Fast automatisch öffnete ich die Augen und starrte direkt in die grinsenden Fratzen zweier steinerner Gargoyles. Oder aber diese Teufelsgeburt hat ihr Netz aus zuckrig süßen Lügen bereits so dicht um mich gewoben, dass ich die Wahrheit nicht mehr erkenne, auch wenn sie mir auf einem silbernen Tablett serviert würde.
    Zur Abwechslung bildeten sich diesmal heiße Schweißperlen auf meiner Stirn. Für welche Möglichkeit sollte ich mich entscheiden? Ich stöhnte laut auf. Es half alles nichts; wenn ich ein Urteil über Mia fällen wollte, so konnte ich dies schlecht mit dem Rücken zu ihr tun. Ich musste ihr dabei in die Augen sehen. Ich musste mich ihr stellen.
    Noch während ich mich zögernd umdrehte, wusste ich nicht, ob ich den Anblick würde ertragen können. Das Sehen ist eine Sache, die sich nicht sonderlich abstufen lässt; man kann ein Ding zwar vorsichtig anfassen, nicht jedoch vorsichtig ansehen. Stets wird man sofort mit der ganzen Szene konfrontiert, ob man nun will oder nicht. Bilder sind unheimliche Phänomene; selbst wenn ein Schutz- oder Angstreflex die Augen nur Sekundenbruchteile später schließt, bleibt der flüchtige visuelle Eindruck für den Betrachter dennoch lebendig. Wie eine Zecke nistet er sich in den hintersten Hirnwindungen ein, um dann, lange Zeit später, in einem vollkommen unerwarteten Moment wieder hervorzukriechen, lebendiger und gefährlicher als je zuvor. Als einzig mögliche Schutzmaßnahme hielt ich meinen Kopf vorerst gesenkt. Nur ganz allmählich wagte ich es, meinen Blick über die Fliesen, Teppiche und das Bett bis hinauf zu Mia wandern zu lassen. Ein sinnloses Unterfangen. Trotz aller Vorsicht traf mich ihre Erscheinung wie ein Blitzschlag. Seltsamerweise präsentierte sich ihre göttliche Aura diesmal nicht durch Grausamkeit und Schrecken; ich wurde vielmehr Zeuge einer Offenbarung – einer Art religiöser Vision. Anders kann ich auch heute, Jahre danach, dieses unglaubliche Bild nicht beschreiben: Auf einem Berg feucht glänzender, roter Leinentücher thronte Mia, nackt, mit fremdem Blut besudelt, weinend und zitternd. Über ihrem Schoß ausgestreckt lag nun der leblose Körper Joys, den sie zärtlich, beinahe mütterlich hielt.
    Ich spürte, wie ich plötzlich jede Kraft in den Beinen verlor. Ähnlich einem Gläubigen, der ein Wunder erlebt, fiel ich voller Ehrfurcht auf die Knie. Was ich dort sah, war die ägyptische Version einer Pieta. Mia hatte sich in einen Engel, eine Heilige verwandelt, die das gesamte Leid der Welt in sich aufzunehmen schien. Ich verlor jedes Gefühl für die Zeit. Ohne meine Augen von dieser roten Madonna nehmen zu können, kauerte ich mich in stiller Demut vor ihr hin. Erst als Mia begann, eine mir unbekannte Melodie vor sich hinzusummen, erinnerte ich mich wieder an den Grund meines Hierseins.
    »Ich … ich verstehe deine Worte nicht«, hauchte ich frevlerisch in den Raum. »Du behauptest, momentan nicht Sachmet zu sein, doch was war zum Zeitpunkt von Joys Tod? War Sachmet während dieser Zeit ein Teil von dir?«
    Das leise Summen brach unvermittelt ab. Die Augen der blutenden Madonna schienen mich erst jetzt richtig wahrzunehmen.
    »Bastet und Sachmet sind die beiden Gesichter einer göttlichen Seele«, erklärte sie in ihrer ruhigen Weise. »In erster Linie wohnt in mir das Wesen der unsterblichen Bastet, der Herrin des Götterfeldes, Gemahlin des Ptah und Fürstin von Heliopolis; was nun Sachmet angeht, so erwacht ihr Jagdfieber und ihre Mordgier nur in Momenten größter Not oder Gefahr. Sachmet ist die mächtige, reinigende, rächende Kraft in mir, die jeden meiner Feinde unbarmherzig vernichtet.«
    Meine Ehrfurcht wandelte sich plötzlich wieder in Empörung. Es schien mir geradezu frevlerisch, wie ein Büßer vor ihr zu knien. Beim Letzten ihrer
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