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Katzendaemmerung

Katzendaemmerung

Titel: Katzendaemmerung
Autoren: Arthur Gordon Wolf
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stattdessen einen vorderen Platz unter den Verderbtesten der Verderbten sichern.
    Des Spiels mit dem Wind überdrüssig geworden, hat sich die Möwe weit hinaus über das Meer treiben lassen. Ich kann nur noch einen schwachen hellen Fleck am weißgrauen Morgenhimmel entdecken. Hinter ihr, von Südwesten kommend, türmen sich zunehmend bedrohlich finstere Wolkenbänke auf. Ein Unwetter kündigt sich an.
    Nachdem ich alle Fenster im Haus verschlossen habe, bin ich nun endlich bereit. Nur noch das Rauschen der Brandung dringt zu mir hindurch. Lange starre ich auf den immer dunkler werdenden Horizont. Könnte es einen geeigneteren Zeitpunkt geben, um das letzte, dunkle Kapitel aufzuschlagen?! Allein auf einer Insel, im Angesicht eines heraufziehenden Sturms.
    Ein anderer Ton mischt sich unter das beständige Rauschen der Wellen. Ein unterdrückter, klagender Ton. Ein Heulen. Ich blicke auf, doch die graugrünen Blätter der Sträucher hinter der Veranda wiegen sich nur träge in einer schwachen Brise. Noch ist es ruhig. Es ist also nicht das Heulen des Sturms, das ich vernehme.
    Jetzt ist es mit einem Mal deutlicher; ein leises Schluchzen erfüllt den Raum. Ein bewegender Ausdruck menschlicher Verzweiflung. Während ich mich völlig auf dieses Wehklagen konzentriere, gleite ich allmählich zurück, weit zurück zu lang verdrängten Erinnerungen. Und so, wie ich plötzlich wieder alles vor mir sehe, das blutbesudelte Bett, Joy McMillians furchtbar verstümmelter Leichnam und Mia, wie sie mich vor Blut triefend anlächelt, bin ich überzeugt, dass auch ein Teil meines physischen Ichs (vielleicht meine persönliche Ach) diese Reise zusammen mit meinem Geist antritt. Der Geschmack von bitterer Galle breitet sich auf meiner Zunge aus …
     
    Obwohl mein Magen seinen Inhalt schon längst preisgegeben hatte, bäumten sich meine Innereien immer wieder in krampfhaften Zuckungen auf. Längst hatte sich jegliche Wirkung des Alkohols verflüchtigt. Der wohlig betäubende Nebel war kristallklarem Grauen gewichen. Hilflos kniete ich vor der Toilettenschüssel und schrie meine körperlichen und seelischen Qualen laut heraus. Selbst wenn ich meine Augen schloss, sah ich nicht Schwarz, sondern Rot. Helles, arterielles Zinnoberrot und dunkles, geronnenes Karmin. Ekel und Grauen machten es mir unmöglich, meine Muskeln konzentriert einzusetzen. Es war, als seien meine Gliedmaßen abgestorben. Das Einzige, was ich wahrnahm, war eine diffuse Wolke aus Schmerz. Ich würgte, hustete und schrie in einem fort. So dauerte es auch eine geraume Zeit, bis mir bewusst wurde, dass ein Lied dieser apokalyptischen Oper nicht von mir stammte. Ungläubig hielt ich den Atem an. Das hohe, weinerliche Schluchzen kam direkt aus dem Schlafzimmer.
    Irgendwie gelang es mir, auf die Beine zu kommen. Als ich mich aber vollends aufrichten wollte, schoss mir augenblicklich wieder brennende Magensäure in die Kehle. Nur mit größter Kraftanstrengung kämpfte ich gegen einen erneuten Brechreiz an. Kalter Schweiß überzog meinen ganzen Körper.
    In gekrümmter Haltung schob ich mich langsam vorwärts. Schwarze und rote Punkte tanzten vor meinen Augen. Wie in einem Traum schien sich der Korridor plötzlich bis in die Unendlichkeit auszudehnen. Mein einziger Orientierungspunkt waren die elegischen Klänge, die immer deutlicher den Raum erfüllten.
    Mit geschlossenen Augen blieb ich im Rahmen der weit geöffneten Tür zum Schlafzimmer stehen. Nicht nur meine Füße weigerten sich, jene Schwelle nochmals zu überschreiten, auch meine Augen hatten genug gesehen. Ich stöhnte wie ein krankes Tier. Auch wenn ich in Zukunft nur noch blühende Gärten, saftige Wiesen und klare Seen zu Gesicht bekäme, immer wieder würden sich diese schrecklichen Bilder aus Blut und Tod in mein Bewusstsein drängen.
    Ich presste beide Arme fest gegen den hölzernen Rahmen und gab meinem schwachen Körper dadurch die nötige Sicherheit. Meine Ohren mussten nun alle übrigen Sinne ersetzen.
    Das Jammern reichte von leisem Wimmern bis hin zu hohem, zittrigen Schreien. So sehr ich mich auch bemühte, es wollte mir einfach nicht gelingen, einen Sinn darin zu erkennen. Obwohl dieses Weinen nur eindeutig von einer Person stammen konnte, überraschte mich doch das Leid, das in dieser Stimme mitschwang.
    Sollte dies tatsächlich dieselbe Frau sein, die mich noch vor wenigen Minuten mit blutverschmierten Lippen angelächelt hatte? Immer noch blind rief ich ihren Namen. »Mia?« Es klang jedoch eher
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