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Katrin mit der großen Klappe

Katrin mit der großen Klappe

Titel: Katrin mit der großen Klappe
Autoren: Marie Louise Fischer
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die
weite Welt gelaufen. Sie tat es nicht, um der Mutter Kummer zu ersparen.
    So sehr sie auch grübelte und
sich ihr Hirn zermarterte, sie fand keinen Ausweg aus dieser schlimmen Lage.
     
     
     

Das Blatt wendet sich
     
    Dann kam der Tag, an dem die
Aufsätze zurückgegeben wurden. Wie immer sprach Frau Dr. Mohrmann über einige
besonders gute oder besonders schlechte Arbeiten, bevor sie die Hefte verteilen
ließ.
    „Über deinen Aufsatz habe ich
mich ganz besonders gefreut“, sagte sie zu Katrin. „Ich wußte ja: Du kannst es,
wenn du nur willst!“ Und sie lächelte einer sehr schmal und sehr blaß
gewordenen Katrin besonders herzlich und ermunternd zu.
    Katrin schlug ihr Heft auf.
„Sehr gut!“ stand mit roter Tinte unter ihrem Aufsatz.
    Sehr gut!
    Ein Sehr gut in einem deutschen
Aufsatz, das war schon etwas, worauf man stolz sein konnte, auch wenn man noch
so viel Kummer hatte. Katrin errötete vor Freude und drehte sich unwillkürlich
zu Silvy um, die tatsächlich neugierig über den Gang hinweg zu ihr gespäht
hatte.
    Katrin hielt Silvy das
aufgeschlagene Heft hin und sagte: „Da! Sieh nur! Ist das nicht fab?“
    Silvy konnte sich nicht
versagen, einen raschen Blick in Katrins Heft zu werfen. Aber dann hob sie die
Augenbrauen und sagte laut und spöttisch in die Luft hinein zu einer
unsichtbaren Gesprächspartnerin: „Pah! Was die sich da wohl wieder
zusammengeflunkert hat!“
    Kein Wunder, daß Frau Dr.
Mohrmann es hörte. „Katrin hat durchaus nicht geflunkert, Silvy“, sagte sie
ruhig. „Du solltest nicht so voreilig urteilen.“
    Silvy verzog ihr Gesicht,
zuckte verächtlich mit den Schultern, wagte aber nicht zu widersprechen.
    „Möchtest du deinen Aufsatz
vorlesen, Katrin?“ fragte Frau Dr. Mohrmann. „Du mußt nicht, aber ich finde...“
    „O ja, gern!“ Katrin trat, ihr
Aufsatzheft in der Hand, vor die Klasse und schlug es auf.
    „Es gab eine Zeit“, las sie,
„da hatte auch ich ein Zuhause. Ich lebte mit meinem Vater und mit meiner
Mutter in einer hellen freundlichen Wohnung, und ich erinnere mich noch
deutlich an die Blumen, die den ganzen Sommer in den Kästen auf dem Balkon blühten.
Fast kommt es mir so vor, als wenn damals immer Sommer gewesen wäre...“ Anfangs
klang Katrins Stimme noch sehr klein und unsicher, aber allmählich gewann sie
größere Festigkeit und besseren Ausdruck. „Doch seit mein Vater gestorben ist“,
las sie, „ist das alles vorbei. Jetzt lebe ich in einem Haus, das von einem
großen prächtigen Garten umgeben ist. Aber die Blumen dort blühen nicht mehr
für mich. Oft weiß ich gar nicht mehr, wohin ich eigentlich gehöre. Nur in den
Ferien darf ich zu meiner Mutter und mit ihr zusammen sein, und deshalb ist
jeder einzelne Ferientag für mich mehr als für andere Kinder Weihnachten,
Ostern, Pfingsten zusammengenommen, und die Weihnachtsferien sind natürlich die
allerschönsten...“
    Katrin las und las, und die
Klasse lauschte atemlos.
    Nicht eines von den Mädchen war
so dumm, nicht zu begreifen, wieviel Überwindung es Katrin gekostet haben
mußte, diesen Aufsatz zu schreiben, und Leonore, Olga, Ruth und Silvy
verstanden jetzt auch, warum Katrin früher immer so angegeben hatte: weil sie
die anderen nicht mit ihrem Kummer belasten und kein Mitleid hatte erregen
wollen.
    Ja, das alles war ihnen klar,
und doch hatte keine von ihnen das Herz, gleich nach der Stunde zu Katrin
hinzugehen und zu sagen: „Wollen wir uns nicht wieder vertragen?“
    Keine von ihnen brachte es über
sich, den ersten Schritt zu tun, jede verschanzte sich hinter der Ausrede, daß
sie nicht aus der Reihe tanzen, sondern sich erst mit ihren Freundinnen
besprechen müßte.
    Was Katrin auch immer gehofft
haben mochte — und mit ihr Frau Dr. Mohrmann, die längst den bösen Geist in
ihrer Klasse bemerkt hatte — , es geschah nicht. Niemand sprach mit Katrin.
    Gleich nach dem Pausenzeichen
hatten es alle eilig, in den Umkleideraum hinunter zu kommen, denn die nächste
Stunde war Turnen bei Fräulein Freysing. Das war eine junge und sehr forsche
Lehrerin, die es gar nicht liebte, wenn nicht jede auf die Sekunde pünktlich im
Turnzeug vor ihr aufmarschierte.
    Wie immer begann es mit einem
kleinen Lauf rund um die Turnhalle — „Damit wir warm werden!“ pflegte Fräulein
Freysing zu sagen — , anschließend kam Gymnastik. Dann erst ging es an die
Geräte. Heute wurden die Kasten aufgebaut.
    Katrin war die erste in ihrer
Riege. Sie kam gut über das Hindernis. Nach ihr war
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