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Kassandra Verschwörung

Titel: Kassandra Verschwörung
Autoren: I Rankin
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vertraut, dass sie zurück war.
    Kein Lebenszeichen von den beiden Männern. Sie wartete fünfundsiebzig Minuten, dann entfernte sie die Klammern aus ihrem langen Haar und ließ es nach vorn über das Gesicht fallen. Ein einfacher Trick, aber einer, der sie um etliche Jahre jünger aussehen ließ, vor allem, wenn sie kein Make-up trug. Sie dachte ein letztes Mal an das Schiff. Inzwischen würde nur noch ein Ölfleck von ihm übrig sein. Vielleicht schwammen Geldscheine auf der Wasseroberfläche. Sie waren sowieso wertlos.
    Sie ging zur Hauptstraße und marschierte los. Eine Anhalterin, die die Südküste entlangtrampte. Die einen Freund in Margate besuchen wollte (oder in Cliftonville: Durfte sie es wagen, Cliftonville zu nennen?). In Folkestone war sie hängen geblieben, hatte niemanden gefunden, der sie mitnahm, deshalb müsste sie die Nacht dort verbringen, unbequem am Straßenrand schlafend...
    Das war die Geschichte, die sie dem Autofahrer auftischen würde, der sie mitnähme. Irgendjemand würde sie mitnehmen. Wahrscheinlich ein Mann. Sie war eine alleinreisende Frau, noch dazu jung. Vielleicht würde er ihr einen Vortrag über die Gefahren des Alleintrampens halten. Sie würde zuhören. Sie war eine gute Zuhörerin. Vielleicht würde sogar irgendein Lastwagenfahrer einen Umweg machen und sie in einem Rutsch nach Margate oder Cliftonville bringen. Natürlich würde er von ihr erwarten, dass sie ihm ebenfalls einen Gefallen erwies, vielleicht mit mehr als nur mit Zuhören. Vielleicht mit ihrem Mund. Aber das war in Ordnung. Das stellte kein Problem für sie dar. Schließlich war sie jetzt jemand anders, oder? Und morgen würde sie wieder jemand anders sein …

Kassandra

Dienstag, 2. Juni
    Jeder in der Informationssammelstelle verfügte über das, was man vielleicht als »Buchhaltermentalität« bezeichnen könnte. Was bedeutete, dass die Mitarbeiter bei der Eingabe der Informationen mit äußerster Gewissenhaftigkeit vorgingen. Sie speisten Daten in den zentralen Computer ein und funktionierten de facto wie eine Art technisiertes Fließband zur Bereitstellung von Vorinformationen. Und genau das war die Aufgabe der Mitarbeiter in der Informationssammelstelle. Es war Sache des Computers zu entscheiden, ob die eine oder andere Nachricht womöglich wichtig war. Der Computer war in der Lage, bei einem Raubüberfall auf eine Tankstelle in Kelso, der Entführung eines Mädchens in Doncaster und dem Fund einer Leiche im ländlichen Wales zu erkennen, ob es ein gemeinsames Tatmuster gab.
    Doch meist erkannte er nichts. Stand einfach nur da, wie ein unersättlicher Vielfraß, und nahm eine Geschichte nach der anderen, einen Informationsschnipsel nach dem anderen auf, ohne etwas Brauchbares auszuscheiden. Legte viele falsche Fährten, spie Unmengen von Unsinn aus und förderte höchst selten auch mal ein Körnchen Wahrheit zutage, wirklich sehr selten.
    Manchmal dachte Jack Constant, Mitarbeiter der Informationssammelstelle, dass ihn nur die französischen Zeitungen, die er mit zur Arbeit nahm, vor dem Verrücktwerden bewahrten. Dabei hatte Constant geglaubt, die Tiefen der Langeweile und Sinnlosigkeit bereits während seiner einjährigen Dienstzeit als Angestellter der Steuereintreibungsbehörde Ihrer Majestät ergründet zu haben. Er hatte das Jahr damit verbracht, Zahlungsaufforderungen, -erinnerungen und letzte Mahnungen abzuschicken, Zahlungseingänge zu vermerken und die säumigen Steuerzahler seinem Vorgesetzten zu melden. Dieses Jahr hatte sich bei ihm eine Buchhaltermentalität offenbart. Doch dann hatte die Computerisierung ihn »gerettet«, indem sie ihm seine lästigsten Aufgaben abnahm, und nachdem er des Öfteren zwischen verschiedenen Abteilungen hin- und hergeschoben wurde, war er schließlich in der Informationssammelstelle gelandet – der Grube.
    »Und? Was macht die Quelle Allen Wissens?«, fragte Cynthia Crockett, eine Kollegin. Sie stellte diese Frage jeden Tag, manchmal morgens, manchmal nach der Mittagspause, und immer mit dem gleichen schelmischen Lächeln. Vielleicht fand sie ihre Frage witzig.
    »QUAW weiß Bescheid«, erwiderte Constant; QUAW war die Quelle Allen Wissens, der zentrale Computer. Ein anderer Kollege, Jim Wilson, hatte einen anderen Namen für den Computer. Er nannte ihn den Fetten Kontrolleur und, wenn er schlecht gelaunt war, sogar das Fette Miststück. Einmal war er in einem T-Shirt mit dem Spruch WER IST DIESES FETTE MISTSTÜCK? zur Arbeit erschienen. Mr. Grayson, ihr
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