Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kassandra Verschwörung

Titel: Kassandra Verschwörung
Autoren: I Rankin
Vom Netzwerk:
Vorgesetzter, hatte ihn in sein Heiligtum zitiert, um mit ihm in aller Ruhe ein ernstes Wörtchen über die Kleiderordnung zu reden.
    Danach war Wilson alles andere als geläutert gewesen. »Er will, dass wir Anzüge und verdammte Krawatten tragen. Was soll das, wir haben doch schließlich keinen Publikumsverkehr, oder? Wir kriegen nie jemanden zu Gesicht. Keine Menschenseele, außer den alten Grauschopf selbst.«
    Aber er hatte das T-Shirt nie wieder getragen.
    Constant ertrug seine Kollegen, sogar den »alten Grauschopf« mit der glänzenden Glatze und den Tweedkrawatten, der auf seine Pensionierung zusteuerte. Graysons Frau packte ihm jeden Tag zum Mittagessen exakt das Gleiche ein: zwei Sandwiches mit Lachspastete, einen Apfel und einen Schokoladenkeks. Yvette würde das nie tun. Sie würde ihm ein frisches Baguette und etwas Camembert mitgeben, dazu vielleicht noch Gurken oder einen kleinen Salat mit Vinaigrette. Die Franzosen achteten mehr darauf, was sie aßen, und Yvette, Constants Freundin, war Französin. Sie lebte in Le Mans, was bedeutete, dass sie sich nur im Urlaub und hin und wieder für ein wildes Wochenende sahen (solche Kurzreisen konnte man sich mit dem Gehalt eines Angestellten der Informationssammelstelle eigentlich kaum leisten, jedenfalls nicht, wenn man schon so eine horrende Telefonrechnung hatte). Yvette studierte noch, aber bald würde sie für immer nach England ziehen und eine Stelle als Französischassistentin an irgendeiner Schule finden. Dann wären sie zusammen.
    In der Zwischenzeit hatte er seine Zeitungen. Normalerweise las er Le Monde , aber manchmal auch eine der anderen. Er tat dies zum einen, um sein Französisch zu verbessern, aber auch, weil Yvette ihm dann nicht so weit weg erschien. Wann immer eine Pause fällig war, kramte er seine französische Zeitung aus der Schreibtischschublade hervor, um etwas geistige Nahrung zu seinem scheußlichem Kaffee zu haben.
    Er las die Meldung noch einmal. Sie stand auf der Titelseite, unter eine wesentlich längere Geschichte über Waldbrände im Mittelmeerraum gequetscht. Im Ärmelkanal war ein Schiff gesunken, knapp zwanzig Kilometer von seinem Heimathafen Calais entfernt. Es hatte keine Überlebenden gegeben. Vier Matrosen waren tot. Die Meldung half Jack Constants Gedächtnis auf die Sprünge. Er hatte früher an diesem Tag eine Nachricht über ein Schiff eingegeben, das vor der Südküste Englands gesunken war. Zufall? Er fragte sich, ob er die beiden Vorkommnisse melden sollte. Er blickte von seiner Zeitung auf und bemerkte, dass Mr. Grayson sein Heiligtum verlassen hatte. Er blickte sich um, als wäre ihm nicht ganz klar, warum er eigentlich da stand. Als er registrierte, dass Constant ihn musterte, beschloss er ein wenig mit ihm zu plaudern. An einem anderen Tag würde jemand anders das Opfer sein. Vorbei an den Computerbildschirmen, den braunen Aktenordnern, den Zeitungsausschnitten, den Ausdrucken und den Faxseiten kam er unaufhaltsam näher. Vorbei an dem Tastaturgeklapper und dem Surren der Diskettenspeicher. Auf Jack Constant zu.
    »Jack.«
    Constant reagierte mit einem Nicken.
    »Alles ruhig?«
    »Absolut, Sir.«
    Grayson nickte mit ernster Miene. »Gut.« Sein Atem roch nach Lachspastete. Mit einem traurigen, angedeuteten Lächeln begann er sich abzuwenden.
    Warum nicht, dachte Constant. Vielleicht konnte er den alten Sack ja ein bisschen auf Trab bringen. »Ach, Sir?«, begann er. »Ich hab hier eine Geschichte, die vielleicht von Interesse sein könnte.«
    Mr. Grayson schien das zu bezweifeln. Um ehrlich zu sein, hatte auch Constant seine Zweifel.

Mittwoch, 3. Juni
    Beim Geheimdienst hatte man immer jemanden über sich. Aber die Informationsleiter konnte brüchig sein – eine fehlende Sprosse. Dass die Leiter funktionierte, hing von Leuten wie Jack Constant ab, die Informationen an jemanden wie Mr. Grayson weiterleiteten. Und von Graysons Instinkt oder seiner »Nase«, seiner Fähigkeit, wirklich Interessantes von schieren Zufallsereignissen zu trennen. Die Information wurde dann die Leiter hinauf zu seinem Vorgesetzten dirigiert, der womöglich weitere Recherchen anstellte, bevor er sie entweder ad acta legte oder an jemanden weitergab, der sich noch höher auf der Leiter befand.
    Das waren dann schon schwindelerregende Höhen. Grayson arbeitete in seinem eigenen kleinen Büro und hatte den Vorgesetzten seines Vorgesetzten noch nie zu Gesicht bekommen. Ein einziges Mal war er von dieser Person mit einer Nachforschung
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher