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Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Titel: Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
Autoren: Sabine Dankbar
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selbst konnte ich vieles neu einordnen und mich in anderer Weise darauf einlassen. Vor allem spürte ich, wie wichtig es ist, zu reden, Themen anzusprechen, die unterschiedlichen Sichtweisen auszutauschen, keine Tabus entstehen zu lassen. Nur so ist es möglich, immer wieder neu aufeinander zuzugehen und sich wirklich von Mensch zu Mensch zu begegnen. Selbst meine Eltern, die sich seit über 50 Jahren kennen, merkten an diesem Tag, dass ihre Erinnerungen zum Teil sehr unterschiedlich waren. Als ich nach Hause fuhr, hatte ich das Gefühl, meinen Eltern, aber auch meinen Geschwistern und mir selbst näher als je zuvor zu sein. Die Arbeit am Genogramm war damit nicht beendet. Alle meine Informationen musste ich nun in eine bestimmte äußere Form bringen. Eine Art Rahmenaufbau, ähnlich einem »normalen« Stammbaum, war uns vorgegeben worden, die restliche Gestaltung war frei. An einem Wochenende einige Zeit später, an dem ich allein war, setzte ich mich daran. Ich hatte sehr viel Freude dabei. Ich kramte in Fotos, zum Teil sogar in alten Briefen. Auf Fotos, die meine Großeltern und Eltern wie auch ihre Familien zeigten, schaute ich nach Familienähnlichkeiten. Ich erinnerte mich an viele Begebenheiten aus meiner Kindheit. Es gab Fotos, die meine
    Geschwister und mich auf einem Schlitten, mitten im verschneiten Wald zeigten oder bei der Wattwanderung im jährlichen Campingurlaub an der Nordsee oder auf der Couch sitzend, frisch gebadet und im Schlafanzug, in der freudigen Erwartung »Daktari« im Fernsehen anzuschauen. Zwischendurch telefonierte ich mit meinen Brüdern und Schwestern, um von ihnen noch etwas zu erfahren oder ihre Sicht auf bestimmte Ereignisse zu erfragen. Es war meine Schwester Heike, die sagte: »Weißt du, Sabine, bianca ist doch immer das sechste Kind in unserer Familie gewesen. Das jüngste, wenn man so will, 1973 geboren.« Sie hatte recht, wir alle haben eine tiefe emotionale Beziehung zum Unternehmen. Es war nicht nur die Firma, in die unser Vater jeden Tag arbeiten ging. Die Arbeit am Genogramm barg weitere viele Überraschungen. Es gab auch Schmerzliches anzuschauen. »Gab es Scheidungen oder Trennungen in Ihrer Familie?«, so lautete eine weitere Frage. Es tat schon weh, als einzige meiner Geschwister geschieden und nicht verheiratet zu sein, auch wenn ich wieder in einer glücklichen Partnerschaft lebte. Bei mir wie auch bei meinem Bruder Bernd gab es keine Kästchen, die für unsere Kinder standen. Angesichts der riesengroßen Verzweigung des Genogramms ein Anblick, der schmerzte. Andererseits vermittelte mir dieser riesige Stammbaum eine unbändige Lebensfreude und Kraft. Und ich war stolz, ein Teil dieses Ganzen zu sein. Dieses Gefühl und mein wunderbares Genogramm nahm ich mit, als ich wenig später zum Ausbildungsseminar nach Bad Honnef fuhr. Nach Beendigung des Seminars hatte ich tatsächlich das Empfinden, für mich und mein Leben, privat wie beruflich, tief greifende, neue Erkenntnisse gewonnen zu haben. Allein zu verstehen, welche Regeln aus der Herkunftsfamilie in das eigene Leben hineinspielen können und wie sie wirken, war ein Aha-Erlebnis. Fragen wie: »Was will ich aus der Vergangenheit bewahren?«, »Was kann es Neues in der Zukunft für mich geben?«, »Welche Regeln bleiben dabei für mich weiterhin nützlich?« und »Welche Regeln müsste ich dafür transformieren?« gaben mir viele neue Impulse. Mein bis dahin immer wieder hervorblitzendes schlechtes Gewissen, unseren Familienbetrieb hinter mich gelassen zu haben, konnte ich für mich neu einordnen und damit endgültig ablegen.
    Keine zwei Wochen später fuhren Gu und ich in die Dolomiten. Zehn Tage Wandern lagen vor uns. Ich war aufgeregt! Zum ersten Mal nach meiner Rückkehr vom Jakobsweg vor knapp einem Jahr würde ich den Rucksack wieder aufschnallen und meine Wanderschuhe anziehen. Diesmal ging es allerdings höher hinauf. Vor uns lagen Routen, die über 2500 Meter hoch lagen. An manchen Tagen würden wir Höhenunterschiede von über 1000 Metern zu bewältigen haben. In einem Hochgebirge wie den Alpen zu wandern, war neu für mich. Aber mit Gu an meiner Seite, der schon oft dort unterwegs gewesen war, konnte mir nichts passieren. Außerdem war ich überzeugt, dass ich diese Anstrengung meistern würde. Schließlich waren es nur zehn Tage und keine fünf Wochen wie in Spanien. Ich meisterte den Höhenweg tatsächlich, aber es war ganz schön anstrengend. Allein die unterschiedlichen Temperaturen - am Tag warm bis
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