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Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Titel: Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
Autoren: Sabine Dankbar
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zu schreiben? Wieso hatte ich meinen beruflichen Werdegang nicht deutlicher herausgestellt? War es falsche Bescheidenheit, ein Sich-nicht-Trauen oder sogar ein Sich-Verstecken? Mir wurde durch solche Hinweise bewusst, dass ich immer noch ein Problem mit meinem Selbstverständnis in der neuen Rolle hatte. Umso dankbarer war ich, dass ich richtig entschieden hatte, weil ich mir die Zeit ließ, mich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen und in diese Rolle entsprechend hineinzuwachsen.
    Thomas und ich hatten entschieden, dass die allerletzte Korrektur des Konzeptes spätestens Ende Juni bei ihm sein sollte. Gu und ich hatten vor, danach direkt in Urlaub zu fahren. Wir wollten in den Dolomiten den Höhenweg Nr. 1 erwandern. Nach unserer Rückkehr sollten meine Geschäftsunterlagen komplett gedruckt sein und mein Internetauftritt stehen. Anfang August wollte ich endgültig in die »heiße« Phase der Kundenakquise gehen. Bis dahin war aber noch viel zu tun. Das Schreiben meines Buches erforderte ebenfalls jede Menge Zeit und ganz viel Disziplin. Diese aufzubringen, fiel mir sehr oft schwer, obwohl mir normalerweise ein gutes Maß an Disziplin zugesprochen wird. Doch jeden Tag mehrere Stunden am Computer zu sitzen, war schon ein hartes Stück Arbeit. Das Einzige, was sich in dieser Zeit veränderte, waren meine Sitzpositionen, die Teesorten und natürlich der wachsende Inhalt der Dateien. Ich war zur Einzelkämpferin geworden. Eine gänzlich ungewohnte Situation. Vorher war es für mich normal gewesen, im Team zu arbeiten sowie nur äußerst selten Zeit am eigenen Schreibtisch zu verbringen.
    Die Vorbereitung auf das dritte Ausbildungsseminar war für mich daher eine sehr willkommene Abwechslung. Vor allem, weil das Thema »Entwicklung der professionellen Persönlichkeit mit Elementen der Familien(re)konstruktion« so spannend war. Dazu mussten wir alle im Vorfeld ein Genogramm erstellen. Ein Genogramm ist ein Familienstammbaum, der über einen »normalen« Stammbaum hinausgeht. Nicht nur die Namen, der Geburtstag und der Todestag werden aufgezeichnet, sondern alle möglichen Informationen werden zusammengetragen. Die Vielschichtigkeit einer Familie soll sich darin widerspiegeln. Über drei vollständige Generationen soll der Einzelne die Gelegenheit haben, sich anzuschauen, wie die Vergangenheit die Gegenwart im Guten wie im Schlechten mitformt. Durch das Genogramm soll das »Heute« mit Hilfe des »Gestern« besser verstanden werden. Ein neues Verständnis für die eigene Persönlichkeit soll sich daraus entwickeln, um letztendlich die eigene Lebens- und Arbeitssituation besser gestalten zu können. Ich wusste vieles aus unserer Familie. Meine Großeltern hatten ja bei uns gewohnt, sie hatten wie auch meine Eltern heute noch immer wieder gern von früher erzählt. Wir Kinder hatten wissbegierig zugehört. Doch ohne die Hilfe meiner Eltern konnte ich es nicht ordnen, außerdem reichte mein Wissen über unsere Familie nicht bis zu den Eltern und Geschwistern meiner Großeltern. Viele Fragen, die wir für das Genogramm beantworten sollten, hatten auch nie eine Rolle bei uns gespielt. »Gab es sogenannte schwarze Schafe in der Familie? Gab es Abtreibungen oder Totgeburten? War in der Familie schon jemand im Gefängnis?« Natürlich hatten wir uns über den Zweiten Weltkrieg unterhalten, wer Soldat gewesen war, gefallen war, zurückgekehrt war aus der Gefangenschaft und wie meine Eltern und Großeltern das Dritte Reich erlebt hatten. Doch es gab noch einiges zu fragen, also interviewte ich meine Eltern. Ich fuhr an einem Samstagmorgen nach Ochtrup und dachte, dass ich nach zwei Stunden bestimmt fertig sein würde mit dem Sammeln der fehlenden Informationen. Aus zwei Stunden wurden mehr als vier. Es wurde eine Reise in die Vergangenheit, die ich nicht missen möchte. Ich lernte meine Eltern nochmals neu kennen, schaute danach vieles mit anderen Augen an, teilweise staunend, noch respektvoller, liebevoller und verständnisvoller. Ich erfuhr Details, die einiges in einem anderen Licht erschienen ließen. Wir lachten viel, aber weinten auch an manchen Stellen. Meine Eltern erzählten einiges ganz bereitwillig, anderes musste ich ihnen aus der Nase ziehen. Es gab wunderbare Dinge in dieser großen Familie, aber auch Schreckliches und Verletzendes. Mir wurde in diesen Stunden klar, dass sich die Toleranz und die Wertschätzung meiner Eltern anderen Menschen gegenüber aus unserer Familiengeschichte entwickelt hatten. Für mich
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