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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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beobachtete mich mit unverhohlenem Interesse, versuchte nicht nur mich einzuschätzen, sondern auch mein Verhältnis zu Güero. Sie ist eine kompromisslose Raucherin. Während Güero und ich uns unterhielten, fischte sie sich eine Faro ohne Filter aus einem Päckchen auf dem Tisch. Der blasse, rothaarige Güero ließ keinen Zweifel aufkommen, wie stolz er auf seine Frau ist.
    Anfangs hatte ich mich zu Fuß auf den Weg nach Juárez gemacht, immer den vom Regen leer gefegten Highway entlang. Später per Anhalter, mit einem Melonenfarmer, der in der Stadt einen draufmachen wollte. Er fuhr einen alten Studebacker-Pick-up, der neben einer viertel Million Meilen den Rost von Jahrzehnten auf dem Buckel hatte und dessen Topspeed bei siebzig lag. Zu allem Überfluss funktionierte nur noch ein Scheibenwischer – der auf der Beifahrerseite. Der Pick-up hatte ein Radio, das auf einen norteñaSender eingestellt war. Die tiefen Töne eines guitarón erschütterten den alten Lautsprecher, die höchsten des Akkordeons hingegen wurden verschlissen und reduzierten sich auf ein Kreischen. Ab und an forderte der Melonenfarmer, der ein rundum zufriedener Mann zu sein schien, die stürmische Nacht mit einem schrillen ai-ai-yuh! heraus.
    Der Regen hatte etwas nachgelassen, dafür war die Temperatur gefallen. Ich war klitschnass, völlig verdreckt und zitterte. Dankenswerterweise wollte der Melonenfarmer nicht wissen, was mir widerfahren war. Derzeit reichte meine Phantasie nämlich nicht aus, um mir zu einer glaubhaften Story zu verhelfen.
    Ich hatte Güeros Adresse noch im Kopf, wollte aber nicht, dass mich der Farmer dorthin fuhr. Später könnten neugierige Dritte auf die Idee verfallen, ihn zu fragen, wo er den großen Gringo abgesetzt hatte. Es gab keinen Grund, Güero in meinen Schlamassel hineinzuziehen.
    Während einer längeren Rotphase sprang ich aus dem Pick-up und zeigte auf ein Restaurant an der Ecke. »Me estoy muriendo de hambre.« Es klang plausibel, ein hungriger Mensch, der rasch etwas essen wollte. Der Farmer kratzte sich am Kopf, zwinkerte mir zu und meinte, selbst wenn ich umfiele vor Hunger, in diesem Aufzug würde man mich nicht reinlassen. Ich sagte ihm, er solle sich keine Sorgen machen, ich ginge durch den Hintereingang. Einer meiner Freunde sei Kellner in dem Restaurant. Eine Lüge auf Spanisch kam glatter über die Lippen als eine auf Englisch. Vielleicht klang auch der spanische Tonfall nur aufrichtiger. Mein Freund könne mir ein Jackett leihen, fügte ich hinzu. Der Melonenfarmer quittierte das mit einem Achselzucken. Ich hielt ihm einen nassen Zehndollarschein hin, den er entrüstet ablehnte. »No pedí su dinero«, sagte er und schüttelte störrisch den Kopf. Ich erklärte ihm, dass es beschämend für mich sei, wenn er das Geld als Zeichen meiner Dankbarkeit ablehne. Widerstrebend nahm er den Zehner, wir gaben uns die Hand und beendeten so unser kleines, aber notwendiges Ritual. Dann kurbelte er sein Fenster ganz herunter und lehnte sich hinaus. Es hatte aufgehört zu regnen. Er deutete auf den Himmel und ich blickte in die sternenklare Nacht. »Ya todo está limpio«, sagte er. Der Regen habe alles gereinigt. »Si«, entgegnete ich. Zumindest bis zum nächsten Sandsturm.
    Eingehüllt in eine schwarze Abgaswolke fuhr der Farmer davon, die leiser werdenden Klänge der norteña-Polka im Schlepptau.
    Erst als er nicht mehr zu sehen war, machte ich mich auf den Weg. Ich wusste, es waren nur wenige Meilen bis zu Güeros Straße. Als ich dort eintraf, war Mitternacht bereits vorbei. Sein Haus war nicht groß, aber es lag in ricones de San Marcos, einem der netteren Wohnviertel von Juárez. Es war ein Haus im Bungalow-Stil, umgeben von einem Maschendrahtzaun. Ich holte Güero und Xochi aus dem Bett, indem ich am verschlossenen Tor rüttelte und minutenlang Güeros Namen rief, begleitet vom vielstimmigen Chor der Hunde aus der Nachbarschaft. Güero kam mit einer .44er in der Hand heraus. »Mein Gott«, sagte er. »Mitten in der Nacht an verschlossenen Toren zu rütteln reicht aus, um sich eine Kugel im Schädel einzufangen.«
    Ich hatte die Strecke zwischen der Unfallstelle und Juárez in bemerkenswerter guter Zeit bewältigt. In kürzester Zeit sollte zwischen mir und diesem Ort so viel geographischer Abstand wie möglich herrschen. Mit dem Tod eines wichtigen traficante und Geldwäschers in Verbindung gebracht zu werden, hieße für mich, das Interesse der falschen Leute an meiner Person zu wecken. Das wäre
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