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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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schädlich für meinen Seelenfrieden. Und mein Seelenfrieden stand ganz oben auf der Liste meiner Prioritäten. Sollten die Leichen von Solís und Victor auftauchen, würde man mit etwas Glück die Sache als Unfall einstufen: Sie waren bei dem Versuch, reißendes Wasser zu überqueren, ums Leben gekommen. Für die beiden toten Gringos im Kofferraum des Lincolns müssten sich die judiciales eine bessere Erklärung einfallen lassen. Und das würden sie mit Sicherheit. Andererseits dürfte der Tod eines Drogenbarons wohl kaum von allen als unbeabsichtigt angesehen werden. Auf beiden Seiten des Gesetzes gab es Leute, die ihre Nase in diese Angelegenheit stecken würden.
    Nachdem ich gegessen hatte, stellte Güero eine Flasche Viuda de Sanchez auf den Tisch. Xochi zerteilte eine Limone und wir kippten ein paar Kurze der guten, alten agave azul. Xochi holte zwei Salzstreuer. Ich lehnte freundlich ab, obwohl es schwer war, dieser reizenden Frau etwas abzuschlagen.
    Güero wollte, dass ich ihm alles erzählte. Ich sähe aus, als habe man mich durch einen Abwasserkanal gezogen, meinte er. Zu seiner eigenen Sicherheit tischte ich ihm eine Geschichte auf: Ich sei auf einer Party gewesen. Ich und ein paar andere seien schließlich in Juárez gelandet. Ich hätte die Gruppe verloren und mich verlaufen. Zu viel Marihuana. Zudem – hier zitierte ich einen Bekannten – könnten einen die Gassen von Juárez ähnlich verwirren wie die von Madras. Dann hätte ich mich plötzlich in Boy’s Town wiedergefunden, dem Rotlichtbezirk, und sei von einem Zuhälter aufgemischt worden. Als Krönung sei ich dann auch noch in den Rio gefallen. Wie ich es aus dem Labyrinth der Innenstadt zum Flussufer geschafft hatte, überließ ich Güeros Phantasie.
    »Ich habe verdammt viel Glück gehabt, dass ich nicht abgesoffen bin«, schloss ich meinen Bericht ab.
    Güero glaubte mir kein Wort. »Du stehst doch überhaupt nicht auf Partys«, sagte er. »Und auf Marihuana schon gar nicht. Schon vergessen?«
    Xochi flüsterte ihm etwas ins Ohr. »Sie hat gesagt, du lügst. Sie kann nämlich Lügen aus der Luft greifen wie ein Vogel ein Insekt.«
    »Ich denke, sie versteht kein Englisch«, sagte ich.
    »Tut sie auch nicht. Es sind nicht die Worte, es ist deine Mimik, die dich verrät, der Ausdruck in deinen yanqui-Augen.«
    »Okay. Es gab keine Party. Aber ich kann dir kein Sterbenswörtchen erzählen – zu deiner eigenen Sicherheit. Wirf in den nächsten Tagen einfach einen Blick in den El Diario. Die Tageszeitungen werden wegen eines gewissen Vorfalls mächtig am Rad drehen. Dann brauchst du nur noch etwas Phantasie und Kombinationsgabe. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen.«
    Er sah Xochi an, die sich eine neue Faro anzündete, sagte etwas in Nahuatl zu ihr. Sie antwortete auf Spanisch, einem Spanisch, das ich noch nie gehört hatte, geschweige denn dechiffrieren konnte.
    »Sie meint, dein Gesicht spricht diesmal die Wahrheit.«
    Ich füllte mein Glas nach und erhob es ihr zu Ehren. Zu Güero gewandt, sagte ich: »Du bist entweder der glücklichste Mensch auf Erden oder vom Aussterben bedroht.«
    Xochi sagte etwas. Güero antwortete in Nahuatl.
    »Sie sagt, dein Gesicht spricht wieder die Wahrheit«, übersetzte er.
    Ich sah sie an. Mein Erstaunen musste mir ins Gesicht geschrieben stehen, denn erst lächelte sie, ein wunderschönes, offenes Lächeln, dann lachte sie los. Dieses Lachen war so ansteckend, dass erst Güero einfiel und schließlich auch ich.
    Jetzt war der Bann gebrochen, die Anspannung weg, und nichts mehr konnte uns aufhalten. Güero und ich besoffen uns nach allen Regeln der Kunst, während Xochi Limonen schnitt, Faros rauchte und zuweilen kleine Kommentare in gebrochenem Spanisch abgab. Im Laufe der Nacht gönnte auch sie sich ein Gläschen, ein Gläschen Johnny Walker Red Label.
    Irgendwann war ich so dicht, dass die Kette, die mein Herz einschnürte, sich lockerte und gesprengt wurde. Etwas öffnete sich in mir und setzte eine Flutwelle frei. Mitten in einer amüsanten Geschichte über das Leben im DMZ, die Güero zum Besten gab, fing ich an zu weinen und konnte nicht mehr aufhören. Dieser Verräter von einem Gefühlsausbruch zerrte an meinem Gesicht. Ich bemühte mich, es zu kontrollieren, indem ich grinste, als sei ich nicht mehr ganz bei Trost. Doch mir war klar, dass mein Benehmen dadurch nur noch grotesker wirken musste.
    Dann gab ich dem nach, rutschte vom Stuhl, lag zusammengekrümmt vor Trauer auf dem Boden und gab
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