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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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schreckliche Laute von mir. Jillians Name kämpfte sich aus meinem Innern frei, doch ich war sicher, dass ihn keiner verstanden hatte.
    Xochimilco kniete sich neben mich und berührte mein feuchtes Gesicht. Ihre stark nach Tabak duftende Hand war angenehm kühl. Sie nippte an ihrem Scotch und sagte etwas auf Nahuatl, das wie Liebeskummer klang.

Sechsundvierzig
    Eine Woche später begannen die Gebietsstreitigkeiten. Man hatte Solís gefunden und seinen Tod offiziell der unterspülten Straße zugeschrieben. Weder Forbes noch Trebeaux noch die Plastiksäcke, in denen sie lagen, fanden Erwähnung, genauso wenig Victor oder die kriminellen Machenschaften. Der Machenschaften gab es hingegen genug, als rivalisierende Banden um die Kontrolle der plaza kämpften, des ehemaligen Territoriums des Exmatadors. Männer mit Maschinenpistolen verspritzten ihre Munition in einer Bar in Juárez und töteten sechs Menschen. Mehrere Angehörige angesehener Berufe – Anwälte, Ärzte, Führungskräfte – wurden enthauptet. Vor keiner Gesellschaftsschicht hatte die Korruption Halt gemacht, an die Solís so zuversichtlich geglaubt hatte.
    Selbst Touristen waren ins Kreuzfeuer geraten. Die Leichen der amerikanischen Opfer wurden zusammen mit Kondolenzschreiben beider Regierungen nach Wisconsin oder New Jersey oder Missouri zurückgeschickt. Doch die Gebietsstreitigkeiten waren keine Sache für die Ewigkeit. Irgendwann würde eine Bande durch Verluste und Zermürben der anderen obsiegen und ein neuer Drogenkönig gekrönt. Das Leben an der Grenze verliefe wieder in normalen Bahnen, genau wie der Drogenhandel, der unter zeitweiliger Verknappung zu leiden hatte. Ich hielt mich in puncto Drogenkrieg durch die Lektüre von Tageszeitungen auf dem Laufenden, die beiderseits des Rio Grande erschienen. Nach wenigen Wochen wurden die gewaltsamen Auseinandersetzungen seltener und das Interesse der Presse ebbte ab.
    Jillians Leichnam wurde vom Gärtner der Rensellers anlässlich seines wöchentlichen Rundgangs entdeckt. Er fand sie im Forellenbecken. Tod durch Ertrinken. Eine Zeitung mutmaßte, dass sie nach dem Tod ihres Mann keinen Lebenswillen mehr gehabt und Selbstmord begangen habe. Da weder ein Abschiedsbrief noch andere Anhaltspunkte vorlagen, die auf Selbstmord hindeuteten, befand das Büro des Coroners auf Unfalltod und schloss die Akte. Niemand machte sich die Mühe zu hinterfragen, weshalb sie nackt im Forellenbecken ihres verstorbenen Mannes schwamm.
    Man hatte meinen Wagen zurück auf den Parkplatz des Baron Arms gebracht. Clara Howler, die sicher von meiner Exekution ausgegangen war, wollte jede Verbindung zwischen mir und den Rensellers kappen, da jeglicher Hinweis darauf eine neue Untersuchung hätte nach sich ziehen können. Clara wurde in der gesamten Berichterstattung mit keinem Wort erwähnt. Ich konnte mir gut vorstellen, wie sie ihren Lebenslauf unter den Kandidaten für den Posten des jefe verteilte. Einen Lebenslauf, der selbst dem zynischsten Herzen Kammerflimmern bescheren könnte.
    Bei Cibola Savings and Loan lief der Geschäftsbetrieb die ganze Zeit weiter, als gäbe es keinerlei Verquickungen mit all den Vorkommnissen. Ein ehemaliges Mitglied des Stadtrats übernahm den Vorsitz der Bank. Wer hinter dieser Entscheidung stand, wurde nicht publik. Nach alldem, was ich inzwischen gelernt hatte, hätte es mich nicht überrascht, wenn es der Bürgermeister, der Gouverneur oder der Präsident der Vereinigten Staaten höchstpersönlich gewesen wäre. »Korruption ist die Regel«, hatte Solís, mein Lehrer, gesagt, aber ich gelobte mir, mich von nun an auf die Ausnahmen zu konzentrieren.
    Die Szenen häuslichen Glücks hatten meinen kleinen Zusammenbruch in Güeros Küche provoziert. Xochi und ihn zusammen zu sehen hatte mir die Augen geöffnet. Sie hatten etwas, was mir versagt bleiben würde. Vielleicht hätten Jillian und ich die Chance gehabt, aber diese vage Chance war nun dahin.
    Meine Träume wurden zu Albträumen: Jillian in meinen Armen, leblos und kalt. Ich trug sie aus dem reißenden Strom der Unterspülung. In diesem Traum war ich schuld an ihrem Tod. Mein eigener Schrei ließ mich hochfahren. Nein! Ich war es nicht!, doch die Unterströmung meines Traums ertränkte meine Unschuldsbekundung.
    Mit der Zeit verloren die Träume an Intensität und verwässerten. Manchmal hielt ich sie in meinen Armen und sie war am Leben. Wir waren im Pool eines Motels und liebten uns. In der Regel erwachte ich aus diesen Träumen, weil
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