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Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
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töten. Im Grunde hätte mein Denken nur darum kreisen müssen, aber es war noch etwas anderes mit im Spiel. »Wenn es Ihnen das Leben erleichtert, señor, machen Sie so weiter und glauben Sie, was Sie glauben müssen. Um ihr Leben rechtfertigen zu können, glauben Leute das, was sie glauben müssen.«
    »Es gibt keine Notwendigkeit, mich zu rechtfertigen«, erwiderte Solís. »Das Drogenproblem ist Ihr Problem, nicht meins. Mein einziges Problem ist die … logísticsas … der Transport der Produkte und die Umverteilung – das Waschen des Profits, wie die Gringos sagen. Das Produkt ist ein Produkt wie jedes andere auch und in den meisten Fällen nicht zerstörerischer. Por ejemplo, die vulgären, dummen Filme, die die Gringos weltweit exportieren, verderben Geschmack und Benehmen dort, wo sie gezeigt werden. Vermutlich sind diese Filme die gefährlichste Droge überhaupt. Und wenn wir hier moralische Fragen erörtern, dann sollten Sie auch über Folgendes nachdenken: Die Gringo-Kapitalisten bedienen sich billiger Arbeitskräfte in Mexiko, Guatemala, Bangladesch, China – ich nenne nur einige arme Länder –, um eure Hi-Fi-Anlagen, eure Fernseher und eure Kleidung zu produzieren. Ohne diese barata Arbeitskräfte würde sich die Inflationsrate im zweistelligen Bereich bewegen und eure Wirtschaftspolitik scheitern.
    Euer Wohlstand basiert auf Sklavenarbeit. Nun ja, aber hat Ihre Nation nicht genau so angefangen? War das nicht die Grundlage des ganz frühen Wohlstandes? Einerseits stellen Sie moralische Betrachtungen über die Freiheit an, andererseits versklaven Sie andere. Also bitte, Mr. Walkinghorse, maßen Sie sich nicht an, mir Belehrungen in Sachen Moral zu erteilen.«
    Victor hielt an. »Boss, schauen Sie mal raus!«, sagte er auf Spanisch. »Die Straße ist verschwunden. Sie hat sich in einen Fluss verwandelt.« Er stieg aus dem Wagen und verschwand in der Dunkelheit. Als er zurückkam, wirkte er verstört.
    Jetzt stieg Solís aus und inspizierte gemeinsam mit Victor die Überschwemmung. Ich nutzte die Gelegenheit und setzte meine Zähne ein, um das Klebeband an meinen Handgelenken einzureißen. Als sie zum Auto zurückkehrten, hatte ich ein paar Lagen durchgenagt.
    Die rechte Spur der Straße stand etwa dreißig Zentimeter unter Wasser, die linke Fahrbahnhälfte war komplett fortgespült worden. Dort, wo sich die durchgezogene Linie befinden sollte, stürzte weißes Wasser in einen Abgrund. Es sah aus wie eine Miniaturausgabe der Niagarafälle. An dieser Stelle kreuzte die Straße ein ausgetrocknetes Flussbett, nichts Außergewöhnliches für Wüstenstraßen, nur war hier der Fluss mit aller Macht zurückgekehrt. Links der Mittellinie hatte das Wasser eine Tiefe von ungefähr eineinhalb Metern, noch weiter links floss es mit der langsamen, gelassenen Strömung eines richtigen Flusses dahin. Solís dachte angestrengt nach.
    »Hol die Taschenlampe«, wies er Victor an. Er sprach castellano, die kastilische Sprache, allerdings ohne das typische Lispeln. »Ich werde den Wagen durch das flache Wasser steuern. Du weist mir den Weg mit der Taschenlampe. Stell dich etwa dorthin, wo die Straße weggespült wurde, ich orientiere mich daran und fahre rechts vorbei.«
    »Sie müssen aber sehr zügig durchfahren, Boss«, sagte Victor. »Und vorsichtig lenken. Das, was von der Straße übrig ist, ist so breit wie der Wagen, vielleicht ’nen halben Meter breiter, und die Strömung hier auf der rechten Seite wird den Wagen nach links drücken, da müssen Sie ordentlich gegensteuern.«
    »Ich weiß, wie man ein Auto fährt«, erwiderte Solís auf Englisch.
    Victor war mit einem Male die Verlegenheit in Person. »Seguro«, sagte er, »das weiß ich doch, jefe.«
    Solís glitt hinter das Steuer und Victor machte sich auf in die tosende Flut. Das Wasser reichte ihm nicht einmal bis zu den Knien und trotzdem hatte er Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Er gab seinem Boss ein Zeichen mit der Taschenlampe.
    Solís setzte den Wagen etwa hundert Meter zurück, drehte sich um zu mir und lächelte. Es war das Lächeln eines Matadors, das sorglose Lächeln eines Mannes, der regelmäßig sein Leben aufs Spiel setzte und Spaß daran hatte.
    Er ließ den Motor aufheulen und schob den Automatikhebel in den Vorwärtsgang. Zuerst schlingerte der Wagen auf dem nassen Untergrund, dann fuhr er abrupt los.
    Nach Samalayuca waren es nur noch ein paar Meilen. Das hier war meine einzige Chance. Entweder jetzt sterben oder später durch Victors
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